Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)
Explosionen hatten das Dunkel erhellt, als Fässer mit Feuerkorn von den sich ausbreitenden Flammen erfasst wurden, doch Brynd rechnete damit, dass es ansonsten ruhig bleiben würde. Dreizehn Nachtgardisten waren tot. Fünf weitere wurden also noch vermisst, doch er ging davon aus, dass auch sie nicht mehr lebten.
Einige Stunden zuvor waren eine Zeit lang Silhouetten vor den Flammen zu sehen gewesen.
Dann war ein gestaltloses Schiff davongerudert.
Seither herrschte eine unheimliche Stille.
Er konnte sich kaum daran erinnern, wann es zuletzt so leicht gewesen war, die Nachtgardisten zu besiegen. Die Soldaten des Kaisers hielten in Gefechten normalerweise das Heft in der Hand und säuberten aufständische Inseln mit brutaler Effizienz. Während all der Jahre seines Dienstes für den gegenwärtigen Kaiser hatte er sich in Sicherheit gewogen – erst bei den Fußsoldaten, dann bei den Dragonern, schließlich bei den Nachtgardisten. Seine Treue und anerkannte Kampftüchtigkeit hatte ihm den Rang eines Kommandeurs eingetragen. Aber war er tatsächlich so loyal? Oder hatte er aufgrund seiner Hautfarbe das Gefühl gehabt, stets etwas beweisen zu müssen?
Er musste immer wieder beweisen, dass er normal und dem Kaiserreich in unerschütterlicher Treue ergeben war. Das erleichterte ihm das Leben. Als einer der wenigen Albinos im Jamur-Reich war er es gewohnt, stets als Außenseiter zu gelten. Tatsächlich fanden die Leute ihn vor allem kurios. Ihr Blick verweilte gemeinhin kurz auf seinen rot getönten Augen, und er wusste nie, ob das aus Angst oder Verwunderung geschah, aber die Menschen starrten nun mal gern. Aufgrund seiner Anormalität hatte er mit bemerkenswerter Hingabe an der Erweiterung seines Wissens und an der Steigerung seiner körperlichen Leistungsfähigkeit gearbeitet.
Er spähte aus dem Schutz der Bäume auf die Flammen, die noch immer loderten, wo Feuerkorn zwischen den Trümmern verschüttet lag. Der Großteil davon war sicher versunken, durchnässt und nutzlos. Einiges hingegen trieb brennend auf den Wrackteilen im Fjord, glitt langsam aufs Meer hinaus und erinnerte an die Lichterfeiern für den Wassergott Sul. Brynd fragte sich flüchtig, ob Priester der Aes wegen dieses Feuers ans Ufer kommen und nach Muscheln suchen würden, um daraus Weissagungen zu gewinnen.
Was würden sie mir heute Nacht wohl sagen? Dass es mit meinem Glück vorbei ist? Papperlapapp!
Er hielt sich einen Pfeil, den er aus einem toten Soldaten gezogen hatte, nah vor Augen, um seine Herkunft zu erkennen. Wahrscheinlich kam er von der Insel Varltung, obwohl er keine Runen aufwies, die auf den Hersteller hätten schließen lassen. Varltung leistete den Armeen des Kaisers schon seit Langem Widerstand. Die hohen Klippen der Insel stellten eine natürliche Befestigung dar, die eine Landung sehr schwer machten. Doch wegen der Winterstarre zögerte der Rat, neue Gebiete zu erobern.
Wie hatte eine fremde Macht überhaupt auf Jokull, der Hauptinsel Jamurs, landen können, ohne von jemandem bemerkt worden zu sein? Brynds Mission war von den höchsten Stellen des Reichs befohlen worden. Nur der Rat als Regierungsorgan hatte davon gewusst.
Ein Mann kam aus der Finsternis getorkelt.
»Ihr seid mir ja ein Nachtgardist!«, höhnte er. »Ich hätte Euch ruck, zuck die Kehle durchschneiden können.«
»Ich hab Euch schon vor über einer Stunde bemerkt, Hauptmann, als Ihr noch hundert Schritte weit weg wart. Bei dem Lärm, den Ihr gemacht habt, wundert es mich, dass Ihr nicht mit Pfeilen geschmückt auf den Ufersteinen liegt.« Brynd blickte auf. »Wie lange habt Ihr gebraucht, um zu merken, dass ich nicht zu den Feinden gehöre?«
Hauptmann Apium Hol überging diese Stichelei und umkreiste stattdessen den schlafenden Fyir. Apium war stämmig und hatte bleiche Haut und rotes Haar. Auf der Brust trug er die unverkennbare Silberbrosche der Nachtgarde, einen siebenzackigen Stern, der alle besetzten Länder des Kaiserreichs symbolisierte. Erst in diesem Moment merkte Brynd, dass er seinen eigenen Stern verloren hatte.
»Sieht so aus, als hätte der alte Fyir sich mehr auf den Teller getan, als er vertilgen kann«, sagte Apium.
»Sehr witzig, Hauptmann. Ihr hättet ihn erleben sollen, als er noch wach war. Ich habe nie einen Menschen solche Schmerzen leiden sehen.«
»Blutkäfer?«, wollte Apium wissen.
»Zum Teil. Er hat bei der Explosion den Unterschenkel verloren. Ich habe die Blutung gestillt und ihn kurze Zeit allein gelassen und …
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