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Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)

Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)

Titel: Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Charan Newton
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weitgehend überwuchert, doch es waren noch Strukturen zu erkennen; von Quadraten umgebene Quadrate, bei denen es sich, wie man wusste, um überkommene religiöse Symbole handelte. Man vermutete, dass die Azimuth der Zahlenmystik angehangen und mathematische Genauigkeit aufs Höchste geschätzt hatten, und Brynd gefiel die Vorstellung, im Abstraktesten nach Schönheit zu suchen. Er grübelte über seine Wertschätzung dieser Dinge nach, während Apium neben Fyir einschlief.
    Der Kommandeur lehnte mit angezogenen Knien am Fuß des Turms. Sein offener Säbel lag griffbereit neben ihm. Die Sterne ließen die den Fjord umgebenden Hügel nun sehr deutlich erkennen, und Brynd konzentrierte sich auf die Geräusche ringsum, wie man es bei nächtlichen Wachen zu tun pflegt, wenn man nicht recht weiß, ob man darauf hoffen oder sich davor fürchten soll, Schritte oder brechende Zweige zu hören und zu merken, dass jemand kommt. Doch von Nachtvögeln und nachtaktiven Säugern abgesehen tat sich wenig, und jeder unheimliche Schrei eines solchen Tiers erinnerte ihn daran, dass sie ganz allein waren.
    Mehr noch: Ihn beschlich das Gefühl, selbst kaum vorhanden zu sein.

KAPITEL 3
    Der hartgesottenste Zyniker , dachte Ermittler Rumex Jeryd, ist oft im Grunde der größte Romantiker, weil er sich so häufig von der Welt enttäuscht fühlt. Zwar konnte er an diesem Tag wenig Romantisches in sich entdecken, dafür aber allen nur denkbaren Zynismus.
    Er hörte den Regen gegen die alten Mauern schlagen. Das Geräusch gefiel ihm, da es ihn an die Welt draußen erinnerte. In letzter Zeit hatte er viel zu viele Tage in diesem Halblicht verbracht und fühlte sich allmählich etwas zu sehr von Villjamur getrennt. Er hatte Schwierigkeiten, das wahrzunehmen, wofür die Stadt inzwischen stand.
    Der Rumel blickte auf die zurückgesandte Theaterkarte in seiner Rechten, dann auf die Nachricht in seiner Linken.
    Dort stand: Danke, aber es ist alles etwas zu spät, findest Du nicht? Marysa X.
    Jeryd seufzte, und sein Schwanz zuckte. Die Nachricht kam von seiner Exfrau. Auch sie war eine Rumelin und über hundert Jahre mit ihm verheiratet gewesen. Es hatte Vorteile, kein Mensch zu sein. Nicht nur hatten Rumel eine festere Haut, ihre Langlebigkeit erlaubte ihnen auch, sich Zeit zu lassen und Geduld zu haben. Als Rumel kam man nie so weit, den Dingen hektisch nachzujagen. Man ließ sie vielmehr auf sich zukommen. Doch das machte die Trennung von Marysa nur umso schmerzlicher, da er den Eindruck hatte, mit ihr sein halbes Leben verloren zu haben.
    Er faltete das Schreiben zusammen und legte es mit der Eintrittskarte in seine Schreibtischschublade. Er würde sich eine andere Begleitung für die Aufführung suchen müssen. Oder gar nicht hingehen und die ganze Sache vergessen.
    Die Winterstarre würde noch kälter sein, wenn er sie allein verbrachte. Er seufzte.
    Vor jenem letzten Tag hatte sie ihm angedeutet, sie werde ihn verlassen, doch das war während eines Monats gewesen, in dem es zwischen verschiedenen Gruppen der ankommenden Flüchtlinge und rechtsgerichteten Einwohnern der Stadt, die gegen den Zuzug protestierten, zu Kämpfen gekommen war und er sich ganz auf seinen Beruf konzentriert hatte. Die Inquisition hatte einige Männer – alles enttäuschte frühere Infanteriesoldaten – festgenommen und hingerichtet, um ein Exempel zu statuieren; und es war inoffiziell bekannt, dass die Soldaten mit diesen Extremisten sympathisierten.
    All dies aber bedeutete, dass Jeryd sich nicht um Marysa gekümmert hatte.
    Sie mochte Antiquitäten. In einer so alten Stadt wie Villjamur gab es davon jede Menge. Manchmal hatte sie ihm gesagt, sie hoffe, einmal ein prächtiges Relikt zu entdecken, das die Kultisten übersehen hatten, und vielleicht ein Vermögen damit zu machen. Doch Jeryd befasste sich mit der Wirklichkeit oder behauptete es jedenfalls. Das war immerhin sein Beruf. Er brachte das Trauma dieser alten Straßen mit nach Hause und trug es als sein Päckchen. In einer Stadt mit über vierhunderttausend Einwohnern für Ordnung zu sorgen, war zum Teil seine Aufgabe, und wenn er nach Hause kam, führte sie einen neu erworbenen Gegenstand vor, erzählte ihm begeistert, welche Geschichte er gehabt haben mochte, und suchte ihn in den sinnlosen Büchern, die sie angeschafft hatte. Reiner Luxus! Die Gesellschaft von Jamur war die jüngste in einer endlosen Reihe von Kulturen, die je ihren eigenen Mist und Müll hinterlassen hatten. Die Kultisten hatten

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