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Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)

Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)

Titel: Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Charan Newton
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mit dem Mund. Solche Sachen. Einige Pflastersteine waren mit Farbe bespritzt, und trotz der Feuchtigkeit war abgestandenes Essen zu riechen. Nachts warfen die Laternen hier unten lange, düstere Schatten, und wenn nicht der leiseste Luftzug ging, war die Dunkelheit in diesen schmalen Durchgängen erstickend. Und immer wieder tauchten Gerüchte auf, wonach kurz vor der Morgendämmerung tierische Mischwesen taumelnden Gangs durch diese Gassen schwankten – Mischwesen, die die Kultisten gezüchtet haben sollten.
    All dies bedenkend, versuchte Jeryd, sich ein Bild zu machen.
    Delamonde Rubus Ghuda. Das Opfer – ein Mann in den Vierzigern – war ein hohes Mitglied des Rats von Villjamur. Sein Brustkorb war auf geradezu groteske Weise aufgerissen. Um die Wunde herum war die Kleidung einfach weggeschmolzen, und einiges von seinem Fleisch schien entnommen. Ansonsten gab es um den Leichnam herum keine Spuren. Eine solche Wunde hatte Jeryd noch nie gesehen.
    Und dadurch unterschied dieses Verbrechen sich von denen, die er sonst untersuchte. Ein alter Rumel wie Jeryd konnte rasch von seiner Arbeit gelangweilt sein: Die Leute begingen einfach immer die gleichen paar Delikte. Es gab Morde, die meist aus Leidenschaft geschahen; andere stahlen, was sie sich nicht leisten konnten; dann gab es die Exzesse der Drogensüchtigen. Im Großen und Ganzen versuchten die Leute, sich entweder ein größeres Stück vom Lebenskuchen unter den Nagel zu reißen oder dem Leben in den Rausch zu entkommen.
    Dieses Verbrechen hingegen deutete auf etwas anderes hin …
    Tryst blieb neben ihm stehen.
    »Kein schöner Anblick«, bemerkte Jeryd.
    »Allerdings nicht.«
    »Was ist das?« Jeryd trat etwas beiseite und tupfte mit dem Zeigefinger aufs Pflaster. Eine blaue Substanz blieb daran kleben.
    »Das muss Farbe sein«, meinte Tryst, »aus der Galerie. Da hinten sind Farbtöpfe gestapelt.«
    Jeryd erhob sich und wischte den Finger an seinem Umhang ab. »Und dort hat es keine Zeugen gegeben?«
    »Ich werde jemanden hinschicken, der auch bei weiteren Anwohnern klopfen soll. Aber ich verspreche mir nicht viel davon.«
    »Lass das sofort erledigen! Ich muss wissen, ob etwas irgendwie Seltsames vorgefallen ist – ob jemand vorbeikam, den man hier sonst nicht sieht, ob es Raufereien oder bewaffneten Streit gab. Und wir müssen ermitteln, was der Tote in der Nacht und heute Morgen getrieben hat.«
    »Gut.« Tryst wandte sich zum Gehen.
    »Und erzähl niemandem davon«, fuhr Jeryd fort. »Ich werde den Rat persönlich informieren. Gegenwärtig wäre es sehr ungünstig, wenn sich die Nachricht von dieser Bluttat verbreitete. Die Leute, die ihn sterben sahen, haben vermutlich nicht erkannt, dass es sich um einen so hochgestellten Menschen handelt, und ich möchte nicht, dass Kaiser Johynn durch Gerüchte davon erfährt. Dann würde er nur wieder Verschwörung wittern.«
    Jeryd ging langsam ans andere Ende der Gasse und sah im morgendlichen Nieselregen zu drei Türmen hoch, die in einigem Abstand zu erkennen waren – und zu den Brücken, die sich zwischen ihnen spannten.
    Tryst unterbrach seine Gedanken. »Herr Ermittler, sollen wir ihn jetzt in die Zentrale bringen?«
    Jeryd schob die Hände in die Hosentaschen und musterte eine Sackgasse, in der der Müll sich an der Seitenmauer der Galerie türmte. Da er sich als Freund der Künste verstand, hatte er immer alle Galerien der Stadt besuchen wollen, gerade für diese aber nie Zeit gefunden. Dabei hatte Marysa sie oft erwähnt und in leuchtenden Farben geschildert. Andererseits übertrieb sie ständig. Er hatte hier im Laufe der Zeit zu viele Verbrechen gesehen, um diese Gegend der Stadt noch naiv betrachten zu können – vor allem nahe den Höhlen, wo selbst von den Gebäuden Verfall ausging.
    »Ja, lass ihn fortschaffen«, sagte Jeryd. »Hoffentlich lösen wir diesen Fall möglichst rasch.«

KAPITEL 4
    Sie ritten an mehreren Hundert Flüchtlingen vorbei, die an der Straße der Zuflucht kampierten. Täglich wurden es mehr, während die Umstände immer schlechter wurden. Verdreckte Kinder rannten zwischen den Zelten umher, und Wiesen waren zu Schlammflächen geworden. Auch Vieh hatten die Menschen dabei und behelfsmäßige Pferche errichtet. Die Feuer vom Vorabend waren zu Asche verglommen. An diesem Morgen waren die Gesichter mürrisch, und die Flüchtlinge sahen Brynd so flehend wie verlegen an. Sie waren Armut offenkundig nicht gewohnt und hätten sich nicht träumen lassen, je in so eine Lage zu

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