Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)
einer Fischplatte und suchte seine Mahlzeit dann und wann nach Gräten ab. Sein abwesender Blick erweckte den Eindruck, er hätte auch einen Teller Zitronenscheiben essen können. Mitunter weigerte Johynn sich, überhaupt etwas zu sich zu nehmen, und manchmal versicherte er den Dienern, er habe alles verputzt, und dann fanden sie die Reste seiner Mahlzeit auf den Felsen unter dem Fenster oder in einem ornamentbesetzten Krug. Ob sein Essverhalten auf Magersucht zurückzuführen war oder ob er Angst hatte, man wolle ihn vergiften, wusste niemand genau. Es wurden keine Erklärungen gegeben, und niemand wagte, danach zu fragen.
Das Esszimmer war recht klein, doch die zahlreichen Spiegel ringsum ließen es größer erscheinen. Zwischen eine Unmenge gleichartiger Miniaturbögen waren frühe Jamurfresken gemalt, die gitterförmige astrologische Phänomene zeigten, deren Bedeutung niemand kannte. Eine Sockelreihe stützte die rußfleckigen Büsten früherer Kaiser, der Vorfahren Johynns, die wie schweigende Gäste wirkten, während eine Handvoll Diener wie stets hinter den Säulen hervorblickte und weder gesehen werden wollte noch sollte. Sie wirkten immer ein wenig ängstlich, wenn Brynd an ihnen vorbeikam, atmeten tief ein, richteten sich kerzengerade auf. Womöglich fürchteten sie einfach dies militärische Eindringen, denn Brynd selbst fühlte sich in Gegenwart des Kaisers gewöhnlich entspannt und gelöst. Die beiden hatten über die Jahre hinweg ein freundschaftliches Verhältnis entwickelt, da Johynn neben dem Albino nur wenigen Menschen traute. Vielleicht lag das ja, wie der Kaiser einst hatte durchblicken lassen, daran, dass auch Brynd einige Geheimnisse zu verbergen hatte.
»Getötet bis zum letzten Mann, mein Gebieter. Bis auf uns drei, die wir hier vor Euch stehen.«
»Also … ?«, fragte Johynn und führte die Fingerkuppen zusammen.
»Also haben wir kein Feuerkorn, Majestät, und können nur auf Holz zurückgreifen.« Brynd stand in strammer Haltung neben Apium, doch Fyir hatte sich auf einen Stuhl setzen dürfen, ein seltenes Zugeständnis in Gegenwart des Kaisers.
»Also, Kommandeur … ?«
»Unsere Heizreserven sind daher bedenklich schwach«, fuhr Brynd fort. »Doch wir sollten auch nicht außer Acht lassen, dass die Hälfte Eurer Nachtgarde niedergemetzelt wurde.«
»Keine Wärme, keine Wärme … «, klagte Johynn, als spräche er ein zerstörerisches Mantra vor sich hin.
Brynd warf Apium einen raschen Seitenblick zu. Der Hauptmann zuckte nur die Achseln.
Jamur Johynn trat ans Fenster. »Und wie, wie soll ich nun die Bewohner meiner Stadt und meines Reichs mit Wärme versorgen?«
Als würdest du dich einen feuchten Kehricht für all die interessieren, die nicht zum Adel gehören oder kein Land besitzen , dachte Brynd.
»Wie kann ich für sie sorgen, nun, da die Monde an ihren Ort gerückt sind? Alle hängen von mir ab, Kommandeur Lathraea. Jeder braucht mich.«
»Vielleicht schaffen wir es auch ohne –«
»Seid nicht lächerlich«, fuhr Johynn ihn an. »Dieses Scheitern macht es für alle noch schwerer. Jetzt werden sie rebellieren und mich töten lassen, nicht wahr?«
»Wer?«, fragte Brynd.
Johynn drehte sich wieder zu ihm um. » Die da. « Er wies mit dem Kopf zum Fenster und auf die Stadt dahinter. »Mein Volk.«
»Aber es ist nicht Eure Schuld, dass eine Eiszeit beginnt. Seit Jahrhunderten ist sie genau vorhergesagt worden. Ihr seid bloß der Kaiser, der sich dieser Herausforderung zu stellen hat. Es gibt große Holzvorräte –«
»Doch ich muss mich um meine Untertanen kümmern. Das bedeutet vierhunderttausend einzelne Verantwortlichkeiten. Ihr habt ja keinen Schimmer, wie das ist.«
»Sie wissen, dass Ihr Euch um sie zu kümmern versucht«, versicherte Brynd ihm beharrlich. »Die Herrscher aus Eurer Familie waren stets beliebt.«
»Wer bereits hier lebt, mag das so sehen, aber die Flüchtlinge aus allen möglichen Winkeln des Reiches werden staunen, dass wir sie nicht in die Stadt lassen können. Und dann werden sie mich nicht mehr mögen, stimmt’s?«
Johynn geriet ins Stocken, trommelte mit den Fingern aufs Fenstersims und starrte wieder nach draußen. Alle seine Bewegungen zeugten von zunehmender Panik.
»Doch ich bin ihr Retter«, fuhr der Kaiser fort. »Das ist mein Recht, nicht das des Dawnir, nicht das von Bohr und Astrid. Ich bin ihr Retter . «
»Mein Kaiser, vielleicht ist jetzt nicht der beste Moment dafür, aber wisst Ihr, wer sonst noch von unserer Mission
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