Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)

Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)

Titel: Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Charan Newton
Vom Netzwerk:
»Wie gesagt: Es ist vorbei.«
    Er torkelte wie ein schwer Betrunkener, gewann wieder Halt und schlurfte weiter an der niedrigen Brüstung entlang.
    »Ich werde keine großen Worte machen, Kommandeur«, erklärte Johynn. »Ich habe zum Abschluss nichts Wesentliches zu sagen.«
    »Bitte, Ihr solltet etwas von der Mauer zurücktreten«, wand Brynd ein. »Denkt daran, was Ihr tut!«
    » Denken ist alles, was ich tue, Kommandeur Lathraea. Ich denke ständig nach! Ausschließlich!«
    »Aber die Einwohner von Villjamur brauchen Euch«, gab Brynd verzweifelt zurück. »Das habt Ihr doch vorhin gesagt – dass sie Euch brauchen !«
    »Vater!« Eir stürzte auf den Balkon hinaus.
    Ob der Kaiser den Halt verlor oder wirklich über den Rand treten wollte, würde Brynd nie erfahren, doch in diesem Moment stürzte Johynn plump über die Brüstung, und sein flatternder Umhang war das Letzte, was von ihm zu sehen war.
    Alle schnappten nach Luft …
    … und drängten ungläubig nach vorn.
    Brynd musste Eir zurückhalten, und ihre gedämpften Schreie verklangen an seiner Brust.
    Im nächsten Moment begann das Klagen der Banshee.

KAPITEL 5
    Ich hätte gern ein Zimmer, nur für diese Nacht«, sagte Randur.
    »Ein Zimmer?«
    »Ja, ein Zimmer. Für diese Nacht.« Er blinzelte die Vermieterin mit langen Lidern an und strich sich eine glänzende Locke aus der Stirn, um ihr einen flammenderen Blick zuzuwerfen, doch sie schaute weiter ins Gästebuch.
    »Eine Nacht.« Sie war alt genug, seine Mutter zu sein, aber doch nur theoretisch, und deshalb hatte er kein Problem damit. Man sah, dass sie einst schön gewesen war. Ihre Augen verrieten es; Augen, die nicht nur den einen oder anderen Funken geschlagen, sondern einst wilde Leidenschaft erweckt haben dürften. Kurzes braunes Haar, ein aparter Teint, eine anständige Figur: nicht zu viel und nicht zu wenig. Nicht, dass ihm das wirklich wichtig war, denn er konnte jeden Frauentyp genießen. Und sie durften ruhig auch schon älter sein. Indem sie ihre weiße Bluse aufgeknöpft ließ und ein Dekolleté präsentierte, das wie sein eigenes schlechtes Klischee wirkte, machte sie das Beste aus ihren Reizen. Auch Randur machte das Beste daraus und vergewisserte sich, dass sie ihn hinschauen sah. Er schenkte ihr ein strahlendes Lächeln, begleitete es mit einem sanften Blick und bemühte sich, ihr den Eindruck zu vermitteln, es gebe Dinge, die sie über sich erfahren müsse.
    »Tja, im Moment sind wir ziemlich belegt … aber ich werde sehen, was sich tun lässt.« Mit einer Miene, die er für ein Lächeln zu halten beschloss, wandte sie sich ab und verschwand vom Tresen.
    Er stand in einem vollen, aber sauberen Lokal – halb Bistro, halb Taverne – auf der zweiten Ebene Villjamurs. Die Einrichtung bestand gänzlich aus Holz, die Tische waren auf Hochglanz poliert, und alles an den Wänden hatte irgendwie mit Pferden zu tun: Hufeisen, Schälpflüge, Raspeln, Schmiedewerkzeug, zur Decke hin auch Reitstiefel. Vermutlich war die Vermieterin eine große Pferdefreundin oder bewunderte Reiter. Auch die Peitschen entgingen ihm nicht.
    Jetzt hab ich eine Idee.
    Randur nippte an seinem Apfelsaft und sah sich dabei um. Er wollte Gespräche belauschen, herausfinden, worüber die Leute in Villjamur redeten, vielleicht die Stimmung in der Stadt aufschnappen. Wer sich die soziale Stufenleiter hochflirten will, muss wissen, was die Einheimischen umtreibt. So kann man womöglich etwas lernen, denn egal, welches Bild eine Stadt in den Geschichtsbüchern bietet: Es sind die einfachen Leute, die die Abgründe und den Charakter eines Ortes schildern und letztlich das Urteil und die Erfahrungen des Außenstehenden prägen.
    »… vielleicht sehen wir unseren Ged nie wieder«, vertraute eine Frau mittleren Alters ihrer Freundin an. »Und Dendu muss seine Arbeit aufgeben, um nur in der Stadt bleiben zu können. Ich weiß nicht, was wir tun werden … «
    »… nun, wir sind gut dran. Ich hab mein Kind seit zehn Jahren nicht gesehen, aber da sie meine Tochter ist, darf sie in die Stadt kommen und bei mir wohnen. Und ihr Gefährte auch … «
    Ein elegant gekleideter Mann am Nachbartisch sah auf, als eine Dame seines Alters auf ihn zukam und fragte: »Ist dieser Stuhl frei?« Er nickte, erhob sich, als sie sich an seinen Tisch setzte, machte eine Bemerkung über das Wetter und ließ sich dabei langsam wieder nieder. Randur überlegte, wie viele Menschen seines Alters er diese höfliche Geste hatte machen sehen. In dieser

Weitere Kostenlose Bücher