Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)
Gruppe. Sie umkreisten das Lager im Abstand von dreihundert Schritten. Das Gelände war überwiegend flach und bot außerhalb des Wäldchens meilenweite Sicht. Der Boden bestand aus moosigem Gras, das Steine und Vertiefungen verbarg. Apium schaffte es, nur zweimal hinzufallen.
Der Himmel verfinsterte sich weiter. Das Lagerfeuer schien wie ein Leuchtturm durch die Nacht und ließ den Umriss der Kutsche erkennen. In der Ferne heulte ein Wolf. Nur Bohr, der größere der beiden Monde, stand am Himmel, doch gleich würde er hinterm Horizont versinken und die Landschaft in gänzlicher Finsternis zurücklassen.
Nach einer Weile hörte Brynd in der Ferne etwas Seltsames. Er hatte genug Zeit draußen verbracht, um zu wissen, dass es sich um nichts Natürliches handelte.
Er betrachtete die Kutsche.
»Was ist los?«, fragte Apium.
Brynd hieß ihn mit einer Handbewegung schweigen und musterte die Gegend mit der gesteigerten Sehkraft der Nachtgardisten, konnte jedoch nur vage Umrisse erkennen.
Schatten bewegten sich durchs Gelände.
Nelum und Lupus traten neben ihn und sahen hinüber zum Lagerfeuer. »Ich seh da was«, sagte Lupus.
»Schnallt eure Rüstung enger und haltet die Waffen bereit!«, sagte Brynd. »Und dann leise zurück!«
Die vier Soldaten schlichen verstohlen durch die Tundra zur Kutsche. Brynd wurde langsamer und winkte den anderen, es ihm gleichzutun und die Waffen zu zücken. Lupus legte rasch einen Pfeil ein, Apium und Nelum zogen ihre Beile, Brynd seinen Säbel. Fächerförmig näherten sie sich dem Lagerfeuer.
Sen und der Garuda waren nirgendwo zu sehen. Bis auf das prasselnde Feuer war kein Geräusch zu hören.
Und etwas stimmte nicht: Eine Ungewissheit schwebte in der Luft, und einmal mehr war die Umgebung für Brynd eine Frage der Statistik: der Entfernungen, Wahrscheinlichkeiten, verschossenen Pfeile. Er wandte sich musternd dem Wäldchen zu und konzentrierte sich, um seine Wahrnehmungsfähigkeit zu steigern.
Auf der anderen Seite der Kutsche lag ein Klumpen am Boden, den er trotz seiner hervorragenden Augen im Dunkeln nicht genauer erkennen konnte.
Er trat heran, kniete daneben nieder …
… und schrak angewidert zurück.
Es war Sens Kopf. Er war glatt vom Rumpf getrennt, und sein Blut versickerte zwischen Brynds Stiefeln.
Der Kommandeur rief die anderen mit dringlichem Flüstern herbei. Alle waren spürbar schockiert.
Brynd sah auf. »Ruhe bewahren! Und eng beieinander bleiben!« Er musterte die Szenerie, als könnten die Bäume ihm Antwort geben. Was geht auf unserer Insel vor?
Dann bemerkte er die Blutspur, die in den Schutz der Buchen führte. Sens Rumpf musste dort irgendwo sein. Die Baumkronen rauschten unter dem Nachthimmel.
»Wartet, Kommandeur«, flüsterte Apium. »Wir sollten dieser Spur nicht folgen. Wer oder was immer Sen getötet hat, kann Menschen offenbar lautlos beseitigen. Wir sollten uns gegenwärtig besser nicht trennen.«
»Da mögt Ihr recht haben, Hauptmann«, murmelte Brynd unschlüssig.
»Was? Sollen wir Sens Tod ohne Untersuchung einfach hinnehmen?«, fragte Lupus ungehalten.
Brynd bedeutete ihm mit einer Handbewegung, leiser zu reden. »Einer der vielversprechendsten jungen Soldaten des Kaiserreichs ist tot. Einer unserer Garudas wird vermisst. Denkt Ihr denn, wir sollten das sofort aufklären – mitten in der Nacht und im Dunkel der Wälder? Wir sind nur noch zu viert. Zwei wurden schon erledigt.« Womöglich hätte ich mehr Nachtgardisten mitnehmen sollen, aber nur ich wusste, dass wir diese Strecke nehmen würden.
»Dann warten wir also einfach ab«, widersprach Lupus, »und werden nacheinander abgemurkst?«
In den Bäumen raschelte es.
Alle blickten zum Wäldchen.
Drei Gestalten torkelten näher, und Lupus legte mit der Armbrust auf sie an.
»Erst schießen, wenn ich es sage.« Brynd hob die Linke und griff mit der Rechten nach seinem Beil.
Nun kamen die dunklen Gestalten angerannt.
Brynd gab das Signal, und Lupus schoss einen Pfeil ab.
Er pfiff durch die Luft und traf einen Angreifer mit voller Wucht ins Gesicht. Schon hatte Lupus einen zweiten Pfeil eingelegt, und wieder ging eine Gestalt zu Boden. Die letzte stürmte mit erhobenem Schwert auf sie zu.
Brynd schleuderte sein Beil durch die Luft.
Es spaltete das Gesicht des Angreifers, und auch der sackte zu Boden.
Dann geschah unversehens das Unwahrscheinliche: Alle drei rappelten sich mühsam wieder auf und begannen sich mit ruckartigen Bewegungen die Pfeile aus dem Leib zu
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