Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)
ausdrucksstarken Geste durch die Luft fahren.
»Ich bin mir wirklich nicht sicher«, erwiderte Fentuk, »nicht, wenn mein Urteil über Krieg und Frieden entscheiden soll. Ist das Euer einziger Beweis?«
»Wir haben mehr«, sagte Urtica. Das war natürlich eine Lüge, doch er hatte keine Skrupel, sich ihrer zu bedienen.
»Ich kann Euch in dieser Angelegenheit nicht helfen, Kanzler. Es tut mir leid.« Er gab Urtica den Pfeil zurück, und der steckte ihn wieder unter seinen Umhang. »War das alles?«, fragte Fentuk und fuhr sich durchs Haar. »Ich muss langsam wieder an die Arbeit.«
»Nein, da ist noch etwas – etwas viel Wichtigeres.« Urtica musterte Brücke und Brüstung und trat näher an Fentuk heran. »Ich muss Euch das zuflüstern. Ich kann Euch eine beträchtliche Summe bieten – genug, damit Ihr dieses widerliche Arsenal nie mehr betreten müsst. Ich rede von hohen Geldbeträgen und einem Landgut. Ihr müsst mir nur bestätigen, dass dieser Pfeil von einem Bogen der Varltung abgefeuert wurde, und mich darin auch offiziell unterstützen, wenn ich einen Kriegsbefehl erwirken will. Das könnt Ihr doch für mich tun, Fentuk, oder nicht?«
Der Leiter der Stadtverteidigung umklammerte mit ernster Miene die Brüstung. »Ich … ich weiß es wirklich nicht.«
Urtica legte ihm den Arm um die Schulter. »Ich würde ungern sagen, was andernfalls womöglich geschieht. Es gibt bekannte Ratsmitglieder, die den Feldzug befürworten und in Rüstung und Erze investiert haben; in Kriegszeiten steigen deren Einkünfte und Einfluss bekanntlich sehr. Sollte ihnen diese Möglichkeit verwehrt werden – und Euer Name wird im Ratssaal fallen – , dann … nun, ich habe gehört, dass mancher in solchen Fällen früher böse vermöbelt wurde. Schlimme Geschichten … « Er schüttelte den Kopf und seufzte theatralisch.
Wie auf Bestellung begann in der Ferne eine Banshee zu klagen, vermutlich bei den Höhlen, und rasch war Fentuk sichtlich erschüttert. »Über welchen Betrag reden wir denn?«, murmelte er schließlich.
Urtica lächelte. »Das lobe ich mir, Fentuk. Ihr werdet es nicht bereuen. Vielleicht sollten wir uns gelegentlich privat zu dem einen oder anderen Getränk treffen.«
Brynd hatte seinen Männern befohlen, das Nachtlager in einem Wäldchen aufzuschlagen, das sieben Meilen hinter dem Weiler Goúle und direkt hinter Bria Haugr lag, einer kegelförmigen Erhebung, die als alter Begräbnishügel der Azimuth galt. Die Buchen ringsum würden ihnen eine gewisse Tarnung bieten.
Sie hatten nun die halbe Strecke zum Militärhafen Gish geschafft. Brynd hatte nicht über E’toawor reisen wollen, eine bedeutende Seestadt und bevorzugter Landungsort aller, die auf die Insel Jokull kamen. Sich weiter nördlich zu halten – in Richtung der Städte Vilhokteu und des an der Mündung des Hok gelegenen Vilhokr – , konnte er sich auch nicht leisten. Es käme ihm alles andere als gelegen, wenn einfache Händler, Schauerleute und Landarbeiter die ersten Untertanen sein sollten, die die neue Kaiserin zu Gesicht bekämen.
Bei Sonnenuntergang fochten Brynd und Sen zum Spaß ein wenig, um die Langeweile zu vertreiben. Als der Himmel sich purpurrot verfärbte, war deutlich, dass Sen die Oberhand behielte. Die Übrigen – auch der Garuda – saßen, den Rücken an den Kutschenrädern, am Feuer und schauten den beiden zu.
»Er wird Euch besiegen, Brynd«, rief Apium. »Ihr fechtet immer fahriger.«
Der Kommandeur ging nicht auf solche Sticheleien ein.
»Na los, Junge«, fuhr Apium fort, »ziel ihm zwischen die Beine! Er hat für seinen Pimmel ohnehin keine Verwendung mehr.«
Schließlich steckten sie die Säbel weg, und Brynd wandte sich an die Männer. »Es ist Zeit, die unmittelbare Umgebung zu erkunden. Sen bleibt mit dem Garuda hier. Möchten die anderen mit mir das Gelände inspizieren?«
Alle stöhnten, erhoben sich aber.
Apium strich seine Uniform glatt. »In welche Richtung soll es denn gehen, Kommandeur?«
»Ich denke, wir schlagen einen Kreis Richtung Osten mit eher kleinem Radius von ein paar Hundert Schritten. Ich muss sicher sein, dass es heute Nacht keine Überraschungen gibt.« Brynd wusste nicht recht, wie misstrauisch er sein sollte. Immerhin waren sie auf Jokull, wo es seit Jahren keine ernsten Gefechte mehr gegeben hatte. Doch seit dem Zwischenfall in Dalúk war es nicht mehr völlig abwegig, dass es auf der Heimatinsel des Kaiserreichs zu einer Bedrohung kam.
Die Übrigen folgten ihm in einer dichten
Weitere Kostenlose Bücher