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Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)

Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)

Titel: Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Charan Newton
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eine Jorsalir-Kirche zwingen, aber sonst lässt sich nicht viel machen.«
    In der Ferne war ein leiser Schrei zu hören, und Jeryd begriff, dass er von der Frau stammen musste, die kurz zuvor das Haus verlassen hatte.
    Unterdessen musterte Mayter Sidhe ihn beunruhigend. Jeryd wusste nie, was diese Banshees dachten – sie öffneten sich nicht und zeigten keinerlei Gefühl. Und doch wirkten sie verstört und aufgebracht, wann immer der Tod nahte; als würden sie dieselbe Qual empfinden und sie mit dem Opfer teilen. Und anscheinend alterten sie nicht. Mayter Sidhe mochte vierzig oder neunzig sein, wirkte aber ewig jung und sogar irgendwie schön. Sollte jemand etwas über die Geheimnisse dieser Hexenfrauen von Villjamur wissen, so teilte er diese Kenntnisse mit niemandem. In den Gerüchten, die in den Tavernen der Stadt kursierten, ging es fast nie um die Banshees – womöglich wegen der heilsamen Befürchtung, sie könnten den Tod eines jeden aus eigenem Entschluss verkünden. Um den Tod nicht heraufzubeschwören, war es – wie auch Jeryd fand – besser, die Banshees nicht zu verärgern.
    Er begriff, dass er hier keine weiteren Aufschlüsse bekam. Also verabschiedete er sich, um diejenige zu befragen, mit der er ganz und gar nicht reden wollte.
    Auch hier oben waren die Häuser schmal und dreistöckig und zudem sehr aufwändig mit lächerlich anmutenden Statuetten engelhafter Geschöpfe geschmückt. Das Gebäude erinnerte ihn an die Geisterstücke, die er als junger Rumel in den Untergrundtheatern gesehen hatte. Beula Ghuda wusste natürlich schon vom Tod ihres Mannes, worüber wenigstens Jeryd erleichtert war. Mit Toten und Verbrechern zu tun zu haben, war erheblich leichter, als mit den Angehörigen eines Menschen zu sprechen, der unter verdächtigen Umständen ums Leben gekommen war. Man musste ihnen direkt in die Augen schauen und auf alle möglichen Reaktionen und Gefühlsextreme gefasst sein.
    Wie konnte das passieren?
    Tot? Wie meint Ihr das?
    Lügt mich nicht an, Ihr Mistkerl!
    Als seine Frau ihn noch liebte, hatte Jeryd sich in seinen schwächeren Momenten oft gefragt, wie sie auf die Nachricht seines Todes reagieren würde, und sich ihre Reaktionen plastisch vorgestellt. So lange er nun auch schon für die Inquisition arbeitete: Diese Aufgaben waren oft die schwersten, und als er nun an die Tür klopfte, fühlte er sich wieder so unbehaglich wie beim allerersten Mal. Eine zerbrechlich wirkende Blondine öffnete ihm. Sie war Mitte bis Ende dreißig und zierlich und trug ein weites grünes Seidenkleid. Ihre Miene war so düster wie die der Banshee, bei der er gerade gewesen war, und das konnte man ihr zu diesem Zeitpunkt wirklich nicht vorwerfen.
    »Beula Ghuda? Ich bin Ermittler Jeryd. Dürfte ich ein paar Fragen zu Eurem … jüngst erlittenen Verlust stellen?«
    »Aber natürlich. Tretet ein!«
    Das Innere des Hauses wirkte so prächtig wie die Fassade und war – wie Jeryd fand – mit sinnlosen Ornamenten und mit Gegenständen überladen, die von schlechtem Geschmack zeugten. In Villjamur reich zu sein, bedeutete anscheinend, Geld zu verschwenden: Die Leute gaben ihr Vermögen nur für überflüssige Dinge aus. Die Stadt war seit Langem nicht mehr bedroht gewesen, und Jamur hatte seine Überlegenheit bis in ferne Länder unter Beweis gestellt; folglich waren die Vermögenden Villjamurs ihren materiellen Annehmlichkeiten nur umso verbundener, und die Schere zwischen Reich und Arm hatte sich nur weiter geöffnet.
    Beula Ghuda führte ihn in ein überheiztes Zimmer voller edelsteinbesetzter Laternen und bunter Lichter und hieß ihn, sich zu setzen. Kostbare Gewebe aus Villiren waren von allen Wandoberkanten her zur Deckenmitte gespannt. Durch ein Fenster aus bestem Glas sah man über die Stadtmauern hinweg auf die verschneite Tundra. Es roch nach längst verbrannten Räucherstäbchen, und Jeryd vermutete wegen der vielen Bücher überall, dass Beula eine Frau mit viel Muße war.
    »Wie kommt Ihr damit zurecht?«, begann Jeryd zögernd.
    »Ach, es geht.« Sie zwinkerte ihm ironisch zu, was er nicht unattraktiv fand. »Um ehrlich zu sein, Herr Ermittler, waren wir uns nicht sehr nahe – am Ende jedenfalls nicht.«
    Ihre nüchterne Antwort erstaunte ihn, erleichterte es ihm aber auch, das Notwendige zu sagen. »Es tut mir leid.«
    Achselzuckend sagte sie: »Ja, solche Dinge passieren.«
    Sie ließ sich auf der Kante eines Sessels nieder, der zur Zeit der früheren Kaiser Gulion und Haldun Mode gewesen war

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