Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)
sah die beiden beunruhigt an und schob die unangezündete Pfeife in die Tasche zurück.
»Eigentlich nicht, nein«, gab Brynd zu. »Kanzler Urtica hat mich über einige seltsame Vorfälle weiter im Norden informiert, und wir müssen das Kaiserreich schützen, indem wir in dieser Sache ermitteln. Augenzeugen zufolge handelt es sich um eine ernste Angelegenheit. Es hat Berichte über umfangreiche Tötungen gegeben, und wir müssen die Ordnung wiederherstellen und die Bevölkerung dort beruhigen.«
»Warum lässt man die Dragoner das nicht untersuchen?«, fragte Lupus. »Warum werden Elitesoldaten ausgesandt?«
»Gute Frage, Brynd«, sagte Apium.
»Die Elite wurde angefordert, und was Fähigkeiten und Ausbildung angeht, sind wir dem Armeestandard überlegen. Wir Nachtgardisten haben sogar Zugriff auf einige von den Kultisten verbesserte Waffen. Schließlich wurden auch wir von Kultisten mit gewissen Talenten versehen – das sollten wir nicht vergessen. Und wir besitzen bessere Schwerter und Bögen, die genauer treffen. Ich bezweifle ohnehin, dass der Anblick einer gewaltigen Armee, die durch die Tundra zieht, den Eindruck erweckt, die Lage sei ruhig. Es ist einfacher, in kleinen Gruppen unterwegs zu sein. Deshalb will ich ein oder zwei Einheiten an unserer Seite, höchstens ein paar Hundert Soldaten.«
»Vielleicht werden die Armeen ja anderswo gebraucht«, überlegte Nelum, der alle Möglichkeiten durchkalkulierte.
»Davon wüsste ich«, erwiderte Brynd. »Bedenkt, dass ich alle Armeen des Kaiserreichs kommandiere.«
»Jetzt sollen wir also dreischwänzigen Einhörnern nachhetzen«, brummte Apium.
»Wir wissen noch nicht, um welche Geschöpfe es sich handelt«, meinte Brynd. »Einhörner oder nicht – wir werden hinreisen und die Sache untersuchen.«
»Ja, vielleicht habt Ihr recht.« Apium lachte. »Seht, da kommt unsere Lady Rika.«
KAPITEL 12
Die Sonne ging kraftlos über Villjamur auf, als Ermittler Jeryd sein Haus im Kaiho-Viertel verließ. Er ging an der Gulya Gata vorbei und an den Märkten nahe der Gata du Oak, am Hotel Villjamur und einem Wirtshaus namens Sattel der Baumnymphe . Auf diesem Weg gab es ein paar seltsame Läden mit hochwertigen Drogen und Erotika, in denen man offenbar »Liebestränke« kaufen konnte, die eine kontrollierte Form der Vergewaltigung erleichterten. Das war ganz anders als in Liebesliedern besungen, und Jeryd hatte keine Ahnung, warum diese Tränke erlaubt waren. So war Villjamur: Solange man Geld hatte, konnte man bekommen, was man wollte, und auf jede Moral pfeifen. Man konnte diese Straßen durchstreifen und sich von seinem Begehren leiten lassen.
Im Schatten hoher Mauern, wo die Straße sich nach rechts hinabwand, warteten die Kinder aus der Gamall Gata bereits auf ihn. Vom oberen Ende der Straße waren die beiden Haupttäter deutlich zu erkennen. Sie lauerten immer dort, beide ungefähr zehn Jahre alt, der eine blond, der andere rothaarig, warm eingepackt, mit dicken Handschuhen, einen Schneeball wurfbereit in der Rechten. Jeryd starrte die Kinder böse an – er musste sie dazu bringen, sich kurz zu fragen, ob sie nicht einen Fehler machten.
Doch das gelang ihm nicht.
Die Schneebälle kamen in hohem Bogen angeflogen, zerstoben aber ein kurzes Stück vor seinen Füßen, und er lächelte. »Heute nicht, Burschen.«
Er drehte ab, sog die kalte Luft ein, ging los …
… und bekam einen Schneeball an den Hinterkopf.
Mistkerle!
Er sah den Blonden und den Rotschopf mit begeistert rudernden Armen davonrennen. Die anderen waren nirgendwo zu entdecken. Dann war nur noch das Echo des Gelächters übrig, und Jeryd strich sich den Schnee vom Kopf.
Die Robe eng um den Leib geschlungen und keine Schneebälle in Sicht, schritt Jeryd durch eine weniger bekannte Gasse der Stadt, und sein Atem wölkte vor seinem Gesicht wie ein Geist, der nicht von ihm lassen wollte.
Immer wieder überdachte er die wenigen Hinweise im Zusammenhang mit dem Mord an Delamonde Ghuda. Der Fall war besonders schwierig, weil viele ein Motiv haben mochten, den Ratsherrn zu töten. Jeryd hatte es mit einem prominenten Opfer und einer grausamen Art zu sterben zu tun.
Die einzig wahrscheinliche Todesursache war der Einsatz eines Relikts, und das ließ die Kultisten hauptverdächtig erscheinen. Im Allgemeinen jedoch hatten die Orden keine Verwendung für Ratsmitglieder, weil sie auf einer Ebene oberhalb der Regierung arbeiteten. Oberhalb eines jeden sogar. Und wegen ihrer wertvollen Dienste bei
Weitere Kostenlose Bücher