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Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)

Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)

Titel: Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Charan Newton
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Feldzügen standen sie in der Regel mit den Mächtigen von Villjamur auf dauerhaft gutem Fuße. Vermutlich kam der Täter also nicht aus einem Orden, doch Jeryd konnte das nicht ausschließen.
    Er würde den Ratssaal auf den Kopf stellen müssen, um herauszufinden, an welchen Vorhaben Ghuda vor seinem Tod gearbeitet hatte. Es musste etwas Wichtiges gewesen sein, wenn seine Ermordung als der beste Weg erschienen war, die Sache abzuwürgen.
    Und was war mit dieser Tuya, die ihn als Letzte lebend gesehen hatte? Der Aussicht, Ghudas Gattin mitzuteilen, wie ihr Mann seine letzte Nacht auf Erden verbracht hatte, und sie nach Erklärungen dafür zu fragen, sah Jeryd ganz und gar nicht freudig entgegen.
    Und obendrein stand am Abend ein Treffen mit seiner Gattin Marysa an. Wie sollte er sie überreden, zu ihm zurückzukommen?
    Was für ein Tag!
    Tryst hatte sich für später mit ihm verabredet. Der junge Gehilfe »befragte« gerade einen Mann, der eines Einbruchs in den Höhlen verdächtig war. Jeryd hatte ihm die Sache zur eigenverantwortlichen Bearbeitung überlassen, da Tryst gut im Foltern war, zumal im Seelenfoltern, wo er die Verdächtigen oft dazu brachte, in Tränen auszubrechen oder einen Wutanfall zu erleiden. So oder so bekam er, was er wollte, und das war Jeryd recht, solange es im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen geschah. Man musste die Dinge vorschriftsmäßig erledigen, damit Vorgesetzte das, was man getan hatte, nicht gegen einen verwenden konnten, falls man eines Tages unversehens ihre Gunst verlor.
    Jeryd mochte diesen Teil der Stadt sehr. Der Glasturm des Astronomen mit seinem wunderlichen achteckigen Grundriss ragte direkt vor ihm auf, und die vielen Scheiben fingen einen der seltenen Momente ein, in denen es dem roten Licht gelang, Wolken und Dunst zu durchdringen. Diese Gegend von Villjamur war der um die Höhlen herum unbedingt vorzuziehen. Leider führten ihn die meisten Fälle unvermeidlich dorthin, wo die Armut vor der übrigen Stadt versteckt wurde und die Lebensbedingungen schrecklich waren. Aufgrund der schlechten Kanalisation stank es dort stets, obwohl viele vermutlich der Ansicht waren, dort zu hausen sei immer noch besser, als ausgesperrt vor den Toren der Stadt zu zelten.
    Mit Fragen bewaffnet, näherte Jeryd sich einem kleinen Haus, das nahezu verborgen zwischen seinen Nachbarn stand. Obwohl es so zentral lag, gingen die Leute meist unbewusst daran vorbei, als würden sie es nicht sehen wollen. Die unscheinbare Metalltür war in glatten, hellen Stein gesetzt. Er klopfte energisch, und schließlich öffnete eine Frau mit rabenschwarzem Haar. Ihr schmales Gesicht war bleich und ausgezehrt.
    Sie war eine Banshee.
    »Morgen. Ermittler Rumex Jeryd. Ich hab einige Fragen.«
    »Natürlich.« Ihre Stimme war beruhigend tief wie bei jeder Banshee, die nicht gerade schrie. »Kommt doch herein!«
    Jeryd trat in ihr wohlriechendes Haus und zog seinen Schwanz eilig über die Schwelle, damit er nicht in der schweren Tür stecken blieb. Das Gebäude war ungemein dunkel und roch stark nach Lavendel. Er war schon mehrmals hier gewesen und hatte jedes Mal gewünscht, es gäbe ein Fenster, um Tageslicht und frische Luft einzulassen. Bunte Laternen und ein kleines Kaminfeuer brannten. Mehrere Frauen von jung bis alt waren zugegen, und sie alle trugen schwarze, graue oder weiße Stoffe. Sie saßen auf zufällig im ganzen Haus verteilten Stühlen und hatten alle ähnlich ausgemergelte Gesichter und ähnliche Eigenarten. Einige lasen oder lernten, andere woben. Unter all diesen Frauen, diesen Schwestern und Müttern vielleicht, die einander zudem intim verbunden sein mochten, überkam Jeryd stets ein beklemmendes Gefühl der Enge, als würden sie gemeinsam ersticken und ihre Bindungen untereinander dabei nur immer mehr festigen. Er hatte ihre Lage nie verstanden, machte aber auch keine Bemerkung darüber.
    »Bitte setzt Euch, Herr Ermittler«, sagte die Frau. »Ich gehe Mayter Sidhe holen.«
    Sie verließ das Zimmer.
    Jeryd ließ sich auf einem groben Holzstuhl nieder. Die Möbel hier waren einfach, als könnten die Frauen sich nichts anderes leisten. Das wirkte in einem Haus, das den besseren Märkten und dem Astronomenturm so nahe lag, unangemessen, aber vielleicht lebten die Banshees schon seit Generationen hier. Einige Frauen summten leise und schaukelten auf ihren Stühlen vor und zurück, als wären sie auf harmlose Weise verrückt: Das war kein tröstliches Geräusch, sondern eher eine unheimliche

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