Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)
geraten. Ihr kennt meinen Beruf; da bekomme ich Einblick in so manches Leben und sehe viel Zerstörung und all die Geheimnisse und Lügen, die eine Partnerschaft am Leben erhalten … « Sie besah sich eine kleine Metalluhr und nahm sie in die Hand. »Außerdem verdiene ich meinen Lebensunterhalt mit etwas, das mir Spaß macht. Wenn die Männer sich ihr Vergnügen nicht bei mir holen, gehen sie zu einer anderen. Ich bin nicht das Problem, sondern bloß ein Symptom.«
»Niemand hat behauptet, Ihr wärt ein Problem«, bemerkte Jeryd verschämt.
Sie legte die Uhr hin und strich sich eine rote Strähne hinters Ohr. »Ich wollte damit nur sagen, dass ich einiges über Beziehungen weiß.« Sie lachte in sich hinein. »Und doch habe ich nie eine Beziehung dauerhaft aufrechtzuerhalten vermocht. Aber ich mag den Gedanken, Euch helfen zu können. Und Eure Partnerin hat offenkundig einen guten Geschmack.« Sie warf Jeryd einen durchdringenden Blick zu.
Er sah verlegen weg.
»Keine Sorge«, sagte sie lachend. »Ich meinte damit, dass sie hochwertige Antiquitäten mag.«
»Das weiß ich«, erwiderte Jeryd abwehrend.
»Ihr solltet die Dinge nicht so ernst nehmen. Ihr seid so schwermütig. Ich glaube, Ihr arbeitet zu hart. Was würdet Ihr ohne Euren Beruf tun?«
Jeryd runzelte die Stirn. »Das weiß ich nicht recht.«
»Manchen Leuten ist es unheimlich, sich vorzustellen, was sie täten, wenn sie nicht ständig zu arbeiten hätten. Ich glaube, darum schuften so viele Menschen so eine Menge: weil sie Angst haben, damit aufzuhören.«
»Was hat das alles damit zu tun, mir zu helfen, Marysa zurückzugewinnen?«
»Nun, wahrscheinlich habt Ihr, wenn sie Eure Fürsorge und Aufmerksamkeit brauchte, meist Eurer Arbeit den Vorzug gegeben. Ihr habt ihr nicht genug zugehört und ihr nicht das Gefühl vermittelt, etwas Besonderes zu sein. Und darum habt Ihr nie das Recht erworben, geliebt zu werden. Ich möchte sogar die Vermutung wagen, dass Ihr so hart gearbeitet habt, weil Ihr Euch nicht wohl dabei fühltet, sie zu lieben.«
»Ihr überschüttet mich ja mit Komplimenten«, brummte Jeryd trocken.
»Ich prüfe lediglich, wie die Dinge liegen«, entgegnete sie, »und Eure Miene verrät mir, dass ich voll ins Schwarze getroffen habe.«
»Vielleicht. Wisst Ihr, ich treffe sie heute Abend. Was kann ich tun, um sie zu … verführen ?«
Daraufhin gab sie ihm ausführliche Ratschläge.
Es war, als würden ihm die Rätsel der Weiblichkeit enthüllt.
Er musste sich sogar Notizen machen.
»Also«, sagte er, nachdem die Fülle ihrer Tipps ihn für längere Zeit hatte verstummen lassen, »was soll ich Marysa nun als Geschenk mitbringen?«
»Eine hochwertige Antiquität, die wie ein Relikt wirkt und ihre Neugier weckt, sie verblüfft und beschäftigt. Denn Ihr müsst ihr ständig im Kopf herumgehen.«
»Natürlich.« Jeryd verschränkte die Arme, lehnte sich zurück und spielte den Unbeteiligten. Ja, er könnte souverän wirken und Marysa veranlassen, zu ihm zurückzukehren. Dieses Verführungsgeschäft war doch nur ein Spaziergang. »Ihr kennt Euch mit all diesen Dingen ja gut aus.«
»Ich weiß.« Das Kompliment schien ihr zu gefallen.
Jeryd wandte sich einem Thema zu, bei dem er weit sattelfester war, um nun, da sie sich mit ihm wohler fühlte, erneut nach Informationen zu stochern. »Und wie habt Ihr Delamonde Ghuda tatsächlich kennengelernt?«
»Ihr seid einfach immer im Dienst, stimmt’s?«
»Meine Mittagspause ist leider vorbei.«
»Ich bin ihm in einer Taverne begegnet, Rumex. Das ist alles. Er war einer von vielen gut aussehenden Männern, mit denen ich ins Bett gegangen bin. Ein Mann, mit dem ich aus freien Stücken schlafen wollte – kein Verbrechen, oder?«
Es sollte eins sein, dachte Jeryd, ohne seine innere Anteilnahme an dieser Angelegenheit zu verstehen. Als Rumel, der nicht wusste, wie es in der Gegenwart eigentlich zuging, durchschaute er sich selbst oft noch weniger als andere.
In der Abenddämmerung stand Jeryd vor dem Bistro Júula und sah zu der Pterodette hoch, deren Kot ihn fast getroffen hätte. Das kleine Reptil ließ sich auf einem Dach nieder und äugte auf ihn hinunter.
»Nicht auf dieses Festgewand, Freundchen«, sagte Jeryd zuversichtlich und von den Ratschlägen einer anderen Frau befeuert.
Er hatte die sorgsam eingepackte Antiquität unter den Arm geklemmt und trug eine feine schwarze Seidenrobe und darunter ein weißes Seidenhemd mit weißem Einstecktuch. Dieser Aufzug hatte ihn beinahe
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