Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)
erschien. Die Türglocke läutete. Seine Augen gewöhnten sich ans Halbdunkel. Wohin man sah, waren Stapel alter Dinge unbeholfen aufgeschichtet, und es stand zu befürchten, dass ein verkehrter Schritt auf ein unebenes Dielenbrett eine teure Katastrophe verursachte. Eine alte Frau stand hinter dem Tresen, während eine zweite ihm zehn Armlängen weiter den Rücken zukehrte. Beide trugen den gleichen verblichenen Überwurf mit Blumenmuster, der dreißig Jahre zuvor Mode gewesen war. Schnickschnack und Zierrat waren zwischen regellos aufgestellten Möbelstücken auf dem Boden ausgebreitet. Seltsame Geräte, Keramik und Kunst standen an jedem verfügbaren Stück Wand. Er hoffte sehnlichst, hinter alldem würden keine Spinnen warten, da sie der heimliche Schwachpunkt des hartgesottenen Ermittlers waren.
Jeryd tastete sich vorsichtig durch den Laden und suchte nach etwas, das Marysa gefallen mochte, nach einem kleinen Gegenstand, der sie beeindrucken und ihr zeigen sollte, dass er sie noch immer liebte. Ob es etwas gab, das all dies vermochte? Wahrscheinlich nicht. Er führte sich angestrengt vor Augen, welche Dinge ihr gefielen, verfluchte seine Entscheidungsunfähigkeit, kratzte sich am Kopf und nahm Gegenstände in die Hand, die er sofort wieder hinlegte.
Langsam begann er missmutig vor sich hin zu brummeln.
»Redet Ihr mit Euch selbst, Herr Ermittler? Vielleicht würde ihr eines der Messinginstrumente dort drüben gefallen. Die erwecken das Interesse selbst glühendster Sammler.«
Tuya trug einen ins Gesicht gezogenen Strohhut und eine Robe, deren Hellblau gegenwärtig nicht eben in Mode war. Er bemühte sich, den Blick nicht auf ihrer ranken Gestalt ruhen zu lassen, die ihren dicken Sachen zum Trotz zu erkennen war. Mit ihren aufgeworfenen Lippen, hohen Wangenknochen und weichen Zügen verbreitete sie eine beunruhigende Intensität.
»Ihr sagtet, Eure Frau sammle Antiquitäten. Also seid Ihr gekommen, um ihr etwas zu kaufen, nicht wahr?«
Sie befingerte eine kleine Holzfigur. »Fasst die Dinge dort drüben wenigstens ins Auge. Es sind einige hübsche Seefahrtinstrumente dabei.«
Tuya führte ihn.
Sie erklärte ihm die verschiedenen Gegenstände auf eine Art, die ihn verunsicherte, ohne dass er hätte sagen können, warum. Vielleicht weil er sich ähnlicher Situationen mit Marysa erinnerte. Er fragte sich, ob es falsch war, so zwanglos zu reden, und beschloss, sich vor Tuyas Reizen in Acht zu nehmen. Bedeutendere Rumel in der Inquisition als er waren bereits weiblicher List erlegen.
Hier hing das abgestandene Aroma vergangener Zeiten, und es roch nach den Resten vergessener Kulturen. Seltsam, dass Leute viele solche Gegenstände sammelten, ohne ihren ursprünglichen Zweck zu kennen. Er überlegte, welche Dinge er selbst besaß und ob sie in tausend Jahren bloßer Zierrat auf dem Toilettentisch einer reichen Dame wären. Vielleicht würde einiges von dem, was er mitunter aus der Gosse fischte, einmal ein hübsches Mädchen bezaubern. Dieser Gedanke ließ ihn lächeln.
Tuya fuhr fort, ihm Dinge zu zeigen und zu beschreiben, doch er glitt wieder in seine Vergangenheit zurück.
»Rumex, Ihr hört mir gar nicht zu, oder? Wie wollt Ihr die Gunst einer Frau gewinnen, ohne auf das achtzugeben, was sie sagt?«
»Ihr hab ich immer zugehört«, sagte er etwas verärgert. Was ging Tuya das überhaupt an? Erregte es sie, im Leben anderer herumzustochern? »Na ja, vielleicht war ich kein wirklich guter Partner.«
»Aber das könntet Ihr sein«, entgegnete sie.
»Und Ihr könntet mir sagen, wie?«
»Sofern es Euch nichts ausmacht, über so persönliche Dinge mit einer Mordverdächtigen zu sprechen.«
Die Belastungen seines Privatlebens lenkten ihn langsam von seiner Arbeit für die Inquisition ab, und doch musste er vor allem sein Privatleben geregelt bekommen. Es war ihm unangenehm, hier mit ihr zu stehen, doch je mehr Zeit er mit ihr verbrachte, desto länger konnte er sie aus der Nähe beobachten, herausfinden, wer diese geheimnisvolle Frau war, und sie – wichtiger noch – weiter nach ihrer Verbindung zu Ghuda befragen. »Nein, das macht nichts, solange Ihr es nicht persönlich nehmt, falls ich später verpflichtet sein sollte, Euch festzunehmen«, erwiderte er und hob fragend eine Braue.
Das schien sie zu mögen. »Natürlich nicht. Und da ich viel Zeit allein verbringe, wäre mir Gesellschaft recht. Ich habe schon vielen Männern zugehört, und glaubt mir: Sie reden eine Menge, wenn sie an die richtige Frau
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