Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)
sich aufwärts. Sie stöhnte wollüstig und krallte die Fingerspitzen in die Laken.
Es klopfte.
Randur sah in ihre bestürzten Augen.
Mist! »Wer ist das?«, flüsterte er.
»Woher soll ich das wissen?«
Es klopfte wieder, und eine Stimme rief: »Lady Yvetta, hier ist Anton!«
»Der Bruder meines Mannes«, flüsterte sie.
Mist ! dachte Randur erneut und sah sich nach einer Fluchtmöglichkeit um. Das Fenster – der Ausweg so vieler Liebhaber bei Nacht – erschien ihm die richtige Wahl.
»Ich weiß, dass Ihr da drin seid, Yvetta«, fuhr die Stimme fort. »Mir wurde berichtet, dass Ihr Euer Zimmer in Begleitung eines jungen Mannes betreten habt. Ich kann nicht zulassen, dass der Name unserer Familie entehrt wird.«
»Unsinn«, kreischte sie. »Ich bin ganz allein.«
Randur sprang vom Bett und schlüpfte in Hemd und Hose.
Yvetta hastete zur Tür, um die Wogen zu glätten.
Als sie nicht hinsah, schob er sich ein paar Armreife von ihrer Kommode in die Tasche.
»Hier ist niemand, Anton, wirklich«, beteuerte sie.
»Lasst mich ein, damit ich mich davon überzeugen kann«, erwiderte die Stimme.
»Einen Moment. Ich muss mich erst ankleiden.«
Randur hatte derweil andere Sorgen: » Wo ist bloß mein zweiter Stiefel? Ach da!« Er schnappte ihn, hetzte zum Fenster, öffnete es lautlos und trat auf den Balkon. Bevor er das Fenster schloss, warf er der Lady einen letzten Kuss zu und flüsterte: »Wenn Ihr demnächst Liebesgedichte lest, denkt an mich, wie ich an Euch denken werde, Liebste .« Sie erwiderte seinen Blick mit sorgenvoller Vorahnung.
Die Nacht war bitterkalt. Noch immer glitten Farben über den Himmel, doch er hatte keine Zeit, ihr Schauspiel zu genießen. Er leerte den Stiefel, den er noch immer in der Hand hielt, und verstaute den Schmuck in seinen Taschen.
Als laute Stimmen aus Lady Fols Zimmer drangen, fuhr Randur rasch in seinen Stiefel, sprang mit der Beweglichkeit des Tänzers auf den nächsten Balkon und kletterte zum Dach hinauf. Es muss doch einfachere Möglichkeiten geben, an Geld zu kommen, überlegte er, achtete sorgfältig darauf, nicht am eisigen Mauerwerk abzurutschen und zu Tode zu stürzen, schob sich weiter und erreichte eine gewendelte Feuertreppe. Die lief er eilig hinunter und sprang auf die Straße.
»N’Abend«, grüßte er ein vorbeischlenderndes Pärchen, winkte und knöpfte sein Hemd zu. »Herrliche Nacht, was?«
Kommandeur Brynd Lathraea sah zum dunklen Himmel auf, über den kräftige rote und grüne Strahlen glitten wie strömender Regen. Seit dem Vortag waren sie wieder auf Jokull. In ein, zwei Stunden würden sie nach Villjamur weiterreisen, doch nach dem Hinterhalt in Dalúk war ihm nur zu bewusst, wie schlecht ihre Pläne geheim gehalten worden sein mochten. Deshalb hatten sie ihr Nachtlager ein gutes Stück von der Küste entfernt aufgeschlagen.
»Mist!«, sagte Apium. Er hatte sich aus dem Schlafsack geschält, wäre auf dem Weg zu Brynd aber beinahe in die Glut des Lagerfeuers getreten und strich sich Funken vom Umhang.
Mit in die Hüften gestemmten Händen stand Brynd da und reckte den Hals, um durch die Baumkronen zu sehen. Auch die beiden anderen Nachtgardisten kamen dazu, schwiegen aber und betrachteten verzückt das Lichtspektakel am Himmel.
»Bei Bohr, was ist das?«, brummte Apium schließlich. »Meint ihr, das hat was mit der Winterstarre zu tun?«
»Gewiss stecken Kultisten dahinter, Hauptmann.«
»Stimmt, das ist kein Naturschauspiel«, meinte Nelum.
»Ich hab ja schon gesagt, dass im ganzen Archipel etwas Seltsames vorgeht«, murmelte Brynd. »Das gefällt mir ganz und gar nicht.«
»Ihr seid immer so frohgemut, oder?«, fragte Apium.
Der Kommandeur warf einen raschen Blick auf Rikas Kutsche. Inzwischen waren hundert Dragoner zum Schutz rund ums Lager postiert, und in der weiteren Umgebung patrouillierten Soldaten zu zweit. Brynd ließ das Gebiet im Umkreis einer Fußstunde geflissentlich überwachen. Sollten also weitere Draugr auftauchen, waren sie rasch auszuschalten. Was seine verbliebenen Männer und den kostbaren Schützling anlangte, ging Brynd keine Risiken mehr ein.
Zwei Stunden nach dem Himmelsschauspiel kam eine Dragonerin leise durch den Wald auf sie zugeritten.
»Kommandeur«, grüßte sie ihn und saß ab.
Die übrigen drei Nachtgardisten gingen um Brynd herum in Habtachtstellung.
»Ja?« Er musterte die dralle junge Frau.
»Kommandeur, Eure Anwesenheit wird dringend erbeten.«
»Apium, Nelum – bleibt hier. Gebt Euer
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