Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)
glitzernde Metall der gezückten Schwerter und eingelegten Pfeile beruhigte ihn. Er ging zwischen den übrigen Draugr herum. Ihre Köpfe waren alle zu einer Seite geneigt, sodass sie zu schlafen schienen, doch er sah, wie ihre Augen das Mondlicht spiegelten.
Er näherte sich einem Wesen, das wie eine Frau aussah und dessen langes blondes Haar im Wind wehte. Er kratzte ihr mit seinem Schwert den Arm entlang, und eine schwarze Flüssigkeit lief über ihre Haut. Das Geschöpf reagierte nicht und hatte offenbar kein Schmerzempfinden. War das noch ein Mensch? Er begriff, dass diese Wesen – wie immer man sie nannte – in keinem normalen Sinne lebendig waren, doch in all seinen Jahren im Dienste des Kaiserreichs hatte er nie etwas Vergleichbares gesehen.
Brynd kehrte zu dem erschossenen Draugr zurück, nahm seinen Gürtel ab, schlang ihn dem Geschöpf um die Fußgelenke und schleifte es zum Waldrand zurück. Dabei glitt er immer wieder aus und vergewisserte sich ständig, dass keins der anderen Wesen ihm folgte.
Feldwebel Woodyr kam ihm entgegen, um zu helfen. »Was machen wir jetzt, Kommandeur?«
»Ich sehe in diesen Draugr keine direkte Bedrohung, doch wir sollten sie erschießen und in einem verriegelbaren Anhänger nach Villjamur bringen. Sie dürfen nicht hier draußen stehen bleiben. Sorgt dafür, dass die Öffentlichkeit sie nicht zu sehen bekommt. In der Stadt herrscht schon Panik genug.«
»Jawohl.« Sie salutierte und befahl ihren Männern zu schießen.
Sofort schwirrten Dutzende Pfeile durch die Luft.
KAPITEL 17
Randur betrat das Dunkel der Höhlen von Villjamur. Er hatte sich bislang nicht hierher gewagt, weil alle ihn davor gewarnt hatten. Zu viele widerwärtige Gestalten, hatten sie behauptet. Dort bekommst du den Kopf eingeschlagen. Wirst beraubt. Die schlimmsten Schurken leben dort.
Und genau deshalb war er nun dorthin unterwegs.
Zunächst ging ihm der Gestank auf die Nerven, ein ranziger, erstaunlich feuchter Geruch. Die erste Straße, auf die er stieß, ähnelte denen auf den unteren Ebenen der Stadt: die gleiche Sorte Tavernen, aus denen betrunkene Männer und Frauen torkelten und sich an den Wänden festhielten, um nach Hause zu finden. Alle Läden waren geschlossen und wirkten im Dunkeln gespenstisch. Die wenigen farbigen Laternen brannten ohne jedes Flackern, da keinerlei Wind ging. Streunende Hunde folgten ihren einsamen Routen durch die engen Gassen. Der nötigen Anonymität wegen hatten alle Passanten ihre Kapuzen aufgesetzt.
Randur schob die Hände in die Taschen und spürte den Schmuck zwischen den Fingern. Er wusste nicht recht, was er über seinen letzten Fischzug denken sollte, doch er würde den Kram verkaufen und mit dem Erlös Dartun bezahlen. Seine Mutter zu retten, zählte zweifellos als moralisch gut. Wer ein Menschenleben bewahrte, konnte nichts falsch machen. Lady Yvetta würde das Zeug kaum vermissen, und er würde noch viele Frauen des Balmacara auf gleiche Weise ausnehmen. Für mich geht das in Ordnung , beschloss er. Lady Yvetta würde sich kaum die Blöße geben, ihn als Dieb zu brandmarken.
Es war ein großartiger Plan: Randurs erfundener Dieb, der einsame reiche Frauen bestahl, wurde gesichtet. Besser gesagt: Randur setzte überall, wo er Gehör fand, das Gerücht über einen kleinen, dicken Blonden in ausgebeulten Kniehosen (auch das ein Verbrechen, wenn auch im Bereich der Mode) in die Welt, der mehrfach dabei beobachtet worden war, von Fenstersimsen aus in die Dunkelheit zu entschlüpfen. Er ließ sogar durchblicken, der Übeltäter habe womöglich letzte Nacht in der Nähe von Lady Yvettas Wohnung herumgelungert. Wichtig war nur, die eigenen Spuren zu verwischen. Er hatte sich bisher gut durchs Leben gemogelt – da würden ihm ein paar Lügen mehr kaum zusetzen. Doch von nun an musste er seine Frauen und seinen Schmuck vorsichtiger aussuchen.
Je weiter er in die Höhlen drang, desto höher wurden sie, abenteuerlich hoch. Einige Türme der eigentlichen Stadt hätten leicht in diese unterirdischen Hallen gepasst. Er hörte das unheimliche Flattern der Fledermäuse über sich, und da es keinen Durchzug gab, lag dicker Rauch in der Luft. Wie weit würde sich dieser seltsame Bereich der Stadt noch erstrecken?
Er stieß auf einen eingezäunten Bereich, eine Art Ausgrabung. Sie maß etwa fünfzig auf hundert Schritte und erstreckte sich von seinem Weg bis zur Höhlenwand gegenüber. Im Licht einer Laterne arbeitete ein Mann mit Kapuze mit einer Schaufel.
»He!«,
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