Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition)
sich vor und legte den Kopf an die kalten Ziegel. Adrenalin rauschte durch seine Adern.
Er betastete seine Fänge, als wollte er sie wieder in die Kiefer drücken und leugnen, dass er zur Hälfte etwas anderes als ein Mensch war. Wenn die Wut einsetzte, konnte er außer Kontrolle geraten – und das ließ ihn sogar für sich selbst zur Gefahr werden. Ein Halbvampyr zu sein, bereitete ihm arge Qual, doch es war ihm noch stets gelungen, seine dunkleren Begierden mit knapper Not im Griff zu behalten. Jahrelang hatte er menschliche Normalität ersehnt. Und nach einem solchen Mord konnte er mit Blick auf seinen Bewusstseinszustand nur eines denken: dass er hoffentlich bald wieder normal war.
Malum machte sich zielstrebig auf den Heimweg und ließ Schal und Hut in einer Gasse zurück. Dreitausend Männer gehorchen meinem Befehl, dachte er, aber gewisse Dinge muss man selbst erledigen.
Tindar hatte gewagt, sich Mitgliedern der Bloods gegenüber einträglicher Geschäfte mit Kindesmissbrauch zu rühmen. Er hatte zigfach unschuldiges Leben zerstört und junge Gemüter den grausamen Perversionen einflussreicher Bürger ausgeliefert. Darum hatte Malum ihn persönlich töten müssen.
Mit knappem Nicken passierte Malum zwei ehemalige Soldaten mit rasierter Glatze – Wächter ohne Uniform, die brutal wirkten und sehr effizient waren.
»Sir.« Sie musterten erst ihn, dann die Straßen ringsum. Wie er es ihnen beigebracht hatte, waren sie stets misstrauisch, da es immer irgendwen gab, der ihn tot sehen wollte.
»Nacht.« Malum stieß eine kaum hörbare Antwort hervor. Die Worte erstarben ihm in der Kehle, weil der Mord von vorhin ihm nun zusetzte wie ein Kater nach einem Gelage. Natürlich war er erleichtert, wieder in der Rue Una zu sein, einer wohlhabenden Straße am anderen Ende der Altstadt unter dem Mondschatten eines großen Onyxflügels.
Hoffentlich würde sie heute Nacht keine Fragen stellen.
Ein großes, weiß getünchtes Gebäude ragte vor ihm auf. Sein Zuhause. Nach den Maßstäben von Villiren handelte es sich praktisch um einen Palast – die echten Paläste waren Jahrzehnte zuvor von Bauträgern zerstört worden, die keinen Sinn für das architektonische Erbe der Stadt besessen hatten.
Bisweilen empfand er sich sogar als Aristokrat: Bei den Bloods hatte er seine eigene Miliz – Männer und Frauen, die alles für ihn tun würden, ohne Fragen zu stellen – und verfügte über mehr treue Anhänger als je ein Grundbesitzer zusammenbekäme. Täglich floss Geld durch seine Hände, und er war mit einer klugen, begabten und bildschönen Frau vermählt.
Doch die Dinge waren nicht mehr, was sie einst gewesen waren.
Er trat ins Haus und streifte mit tiefem Seufzer seinen Umhang ab. Schmerz jagte ihm in die Beine, als er sich die Treppe hochschleppte. In einem großen Zimmer im ersten Stock ließ er sich in einen burgunderroten Sessel sinken und betrachtete sein luxuriöses Heim mit beiläufigem Stolz. Zwei Bodenvasen schimmerten im Mondschein, der durchs Oberlicht fiel. Er hatte sie vor einigen Jahren gekauft, als die Bloods das fünfhundertste Mitglied aufnahmen. Angeblich stammten sie aus der Zeit von König Hallan Helfen, der vor elftausend Jahren – vor Beginn der Kaiserzeit – die ursprüngliche Anlage von Villjamur vollendet hatte. Als erster Regent hatte er einen Vertrag mit den Kultisten geschlossen, um deren Kriege zu beenden. Bei der Herstellung seiner Vasen sollten sogar Relikte im Spiel gewesen sein.
Um ehrlich zu sein, war Malum das herzlich egal. Die Vasen passten einfach sehr gut in sein Haus. Und wer behauptete, Verbrechen würde sich nicht auszahlen? Er hatte auf ein paar Antiquitäten aus der vierzigtausend Jahre zurückliegenden Shalafar-Epoche gehofft. Einfach um sagen zu können, er besitze Kunstwerke aus jener Zeit, und dadurch zu vermitteln: Ich bin besser als du. An Gegenstände aus der Máthema-Zeit war noch schwerer zu gelangen, doch das hatte ihn nie abgehalten, danach zu suchen.
Er schenkte sich Schwarzherz-Rum ein und nutzte die Ruhepause, um über die nächsten Tage nachzudenken. Gerüchten zufolge hatte man den Straßenbanden angeboten, mit den Nachtgardisten zu beraten, wie sie angesichts des erwarteten Kriegs von Nutzen sein könnten. Auch war von ehrlichen Löhnen die Rede – nicht bloß von Bestechungsgeldern –, von Einkünften also, die dafür sorgen würden, dass die meisten seiner Jungs auf Jahre hin gut zu essen hätten. Nichts Geringeres als Jamúns sollten zur
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