Die Legende Der Wächter 07: Der Verrat
ich … wie soll ich es erklären …“
„Erklär mir am besten erst mal, was du bei diesem Lumpenpack zu suchen hast.“
Gwyndor war erleichtert, dass die Schmiedin wieder redete wie früher. Sie war für ihre derbe Ausdrucksweise berüchtigt. Als er zum Ende seines Berichtes kam, schaute sie ihn abermals prüfend an, ehe sie sich dazu äußerte.
„Du bist also zu den Reinen geflogen, weil du das Gefühl hattest, dass Nebel dich dort hinschickt, auch wenn sie kein Wort darüber gesagt hat. Habe ich das richtig verstanden?“ Gwyndor nickte. Die Schnee-Eule fuhr fort: „Ich kenne Nebel. So was ist typisch für sie. Und jetzt glaubst du, dass der Kleine womöglich ein Flammenseher ist?“ Gwyndor nickte wieder. „Dazu kann ich nur sagen, dass es abgesehen von unserem Kollegen Orf schon seit über hundert Jahren keinen Flammenseher mehr gegeben hat. Aber du wolltest mich etwas fragen und hast es noch nicht getan.“
„Na ja … dieser Kleine … Nyroc heißt er …“
„Alles klar“, sagte die Schnee-Eule verächtlich. „Der Sohn von Nyra, stimmt’s?“
„Stimmt. Ich kann nur hoffen, dass er nicht nach seiner Mutter gerät – und erst recht nicht nach seinem Vater. Jedenfalls hat Nyroc bereits die üblichen Feiern hinter sich, bis hin zur Erste-Beute -Feier. Er hat ein schönes dickes Streifenhörnchen geschlagen.“
„Von Streifenhörnchen krieg ich Blähungen“, sagte die Schmiedin abfällig.
„Als Nächstes steht ihm eine Feier bevor, von der ich noch nie gehört habe.“
„Blödsinn. Nach der Ersten Beute feiert man das Erste Moos . Das macht immer einen Riesenspaß, wenn man herumfliegt und das weichste Moos für die Baumhöhle sucht.“
„Dort in den Felsschluchten wächst aber kein Moos. Bei der Feier, die ich meine, muss es um etwas anderes gehen.“
„Wie wird sie denn genannt?“
„Die Große Feier. “
Die Schnee-Eule ließ die Zange fallen und schnappte nach Luft. „Nein!“
Als sie sich von ihrem Schreck erholt hatte, lud sie Gwyndor in ihre Höhle ein. „Trink doch einen Becher Honigmet mit mir. Die Nacht ist kalt und davon wird einem schön warm. Und dann erzähle ich dir etwas über die Große Feier .“
Sie zwängten sich durch eine Öffnung in der Mauer und gelangten in eine Art Hof. Von dort führte eine Treppe in einen Keller hinunter. „Schön hast du’s hier“, sagte Gwyndor anerkennend.
„Hier wurde früher Wein gelagert, glaube ich. Ich habe mich in dem Fass dort drüben eingerichtet. Da drin riecht es gut. Wie wär’s mit einem Happen Wühlmaus zum Met?“
„Gern.“
Sie tranken und fraßen, dann begann die Schmiedin: „Über die Große Feier habe ich Schreckliches gehört. Wenn man bei den Reinen in den Offiziersrang aufsteigen will, muss man jemanden töten. Aber kein Beutetier und keinen Gegner in der Schlacht, sondern …“ Sie unterbrach sich.
Gwyndors Magen zog sich schockiert zusammen. „Du meinst, man tötet nicht, weil man fressen oder sich verteidigen muss? Man tötet einfach so, ohne einen echten Grund?“
„Man begeht einen Mord.“
„Einen Mord! Heißt das, man muss eine Eule aus seinem eigenen Volk umbringen?“
„Eine Eule aus dem eigenen Volk oder sogar einen Verwandten. Angeblich hatte Kludd es bei seiner Feier damals auf seinen Bruder Soren abgesehen. Als die beiden noch Kinder waren, hat er ihn aus dem Nest gestoßen. Er dachte, Soren breche sich das Genick oder er werde von einem vierbeinigen Räuber gefressen. Kludd konnte ja nicht ahnen, dass die Häscher von Sankt Ägolius seinen Bruder entführen würden.“
„Er wollte seinen eigenen Bruder ermorden? Das kann nicht sein!“
„Doch. Aber die Feier wird natürlich nicht Erster Mord genannt, sondern Große Feier oder Tytari .“
„Was in Glaux’ Namen soll das denn heißen?“
„Tytonen-Aufnahme-Ritual“ , abgekürzt: Tytari . Aber es ist nur ein anderes Wort für kaltblütigen Mord!“
„Das ist ja abscheulich! Das muss ich dem Kleinen unbedingt erzählen!“
Gwyndor stellte den Eisenbecher mit dem Honigmet hin.
„Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist“, sagte die Schmiedin zu seiner Verwunderung.
„Wieso denn nicht? Soll ich etwa tatenlos zuschauen, wie diese Verbrecher ein unschuldiges Eulenkind zum Mörder machen?“
„Manche Dinge lernt man besser ohne fremde Hilfe.“
„Wieso?“
Doch die Schmiedin antwortete nur: „Die Wahrheit muss jeder für sich selbst herausfinden.“
Das ist doch gaga! , dachte Gwyndor. Sie kann reden,
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