Die Legende Der Wächter 07: Der Verrat
war vorbildlich. Sie hatten ein Gebiet nach dem anderen erobert. Nur die Nordland-Eulen herrschten über ein größeres Revier. Und doch waren die Reinen in den Schnabelbergen von einer zahlenmäßig viel kleineren Truppe der Wächter besiegt worden, die es obendrein mit der Disziplin längst nicht so ernst nahmen. Die Wächter hatten mit List und Verstand gesiegt, anders war es nicht zu erklären. Uglamore hatte sich damals gefragt, ob eine freie Gemeinschaft wie die der Wächter von Ga’Hoole nicht womöglich erfolgreichere Krieger hervorbrachte als die Reinen mit ihren unzähligen Vorschriften und Strafen.
Seit Nyrocs Schlüpfen beschäftigte sich der Offizier noch öfter als vorher mit solchen Gedanken. Er mochte den jungen Eulerich wirklich gern. Es überlief ihn kalt, wenn er mitbekam, wie Nyra mit ihrem Sohn umsprang und welche Erwartungen sie in ihn setzte. Wie würde sich Nyroc wohl entwickeln, wenn er bei anderen Eltern aufwachsen würde oder sogar im Großen Ga’Hoole-Baum?
Doch seine eigene Unzufriedenheit beunruhigte Uglamore noch viel mehr. Zwar hatte Nyra versprochen, ihn demnächst zu befördern, aber er hatte von ihr und ihrer ganzen Art allmählich den Schnabel voll.
Doch wo sollte er in seinem Alter hin? Kein anderes Eulenvolk würde ihn mit offenen Flügeln aufnehmen. Schließlich hatte er für den verhassten Tytonenbund gekämpft. Trotzdem konnte Uglamore sich nicht vorstellen, den Rest seines Lebens bei den Reinen zu verbringen. Nyroc war noch im Ei gewesen, da hatte Uglamore schon gespannt und beinahe angstvoll auf sein Schlüpfen gewartet. Als das Küken dann bei Mondfinsternis auf die Welt gekommen war, hatte Uglamore eine Art kummervolle Freude empfunden. Es hieß, bei Mondfinsternis geschlüpfte Eulen verfügten über besondere Kräfte. Wie würde sich das bei Nyras Sohn auswirken?
Doktor Schönschnabel hatte gemeint, es sei kein Problem, Nyroc und seinen Freund wieder einzufangen … Vielleicht wäre es besser für Nyroc, wenn er in den Schredderwinden den Tod fände , dachte Uglamore. Denn wenn er am Leben blieb, würde seine Mutter eine Große Feier für ihn abhalten.
Ich habe bei meiner Großen Feier meinen Vetter umgebracht, den ich sehr gern hatte , erinnerte sich Uglamore. Aber ich verehrte Kludds Vorgänger, den alten Hohen Tyto, so sehr, dass ich bald darüber hinwegkam. Ich habe mir den Mord so lange schöngeredet, bis ich überzeugt war, dass ich das Richtige getan hatte. Außerdem wollte ich doch unbedingt Truppenführer werden.
In seiner Jugend war Uglamore ein starker, kampfeslustiger Eulerich gewesen. Er hatte voller Stolz einem Volk angehört, das eines Tages die Weltherrschaft übernehmen würde. Noch dazu war er eine echte Tyto alba und gehörte damit zu den Reinsten der Reinen. Inzwischen kamen ihm jedoch Zweifel an seinen früheren Überzeugungen.
„Ist deine Frage bezüglich der Auslässe damit beantwortet, Uglamore?“, fragte Nyra scharf.
Am liebsten hätte er erwidert: Nein, Herrin, keineswegs . Weil er aber keine andere Zukunft für sich sah als bei den Reinen, beherrschte er sich und erwiderte: „Jawohl, Herrin. Ich habe keine Fragen mehr.“
„Dann wird uns Doktor Schönschnabel zu den Auslässen bringen und wir warten ab, ob Nyroc …“ Es kam selten vor, dass Nyra die Stimme versagte. Sie fing sich aber gleich wieder und sprach weiter: „… und wir warten das Ergebnis ab.“
Das Ergebnis? Meint sie damit, ob ihr Sohn tot ist? Und was wird sie mit ihm anstellen, wenn er wider Erwarten noch am Leben ist? Uglamore hatte die Frage nicht laut stellen wollen, aber sie war ihm schon entschlüpft: „Was geschieht mit Eurem Sohn, wenn er die Schredderwinde überlebt, Herrin?“
„Selbstverständlich wird er für seinen Ungehorsam bestraft. Hätte Nyroc sich in Kriegszeiten so aufgeführt, wäre er des Hochverrats angeklagt worden und hätte mit dem Schlimmsten rechnen müssen. Weil er noch jung und ungebärdig ist, will ich dieses eine Mal noch ein Auge zudrücken.“
Da bin ich ja mal gespannt , dachte Uglamore.
Anfangs konnte Nyroc seinen Freund noch sehen. Doch dann wurde er derart herumgeschleudert, dass es sich anfühlte, als würden seine beiden Mägen gegeneinandergeschlagen. Nyroc wusste nicht mehr, wo oben und unten war. Waren das seine Schwanzfedern, die da vorbeiwirbelten? Würden ihn die Schredderwinde gänzlich kahl rupfen? Wenn ja, war das eigentlich schlimm? Spielte es überhaupt noch eine Rolle, ob er lebendig hier
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