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Die Legende der Wächter 1: Die Entführung

Die Legende der Wächter 1: Die Entführung

Titel: Die Legende der Wächter 1: Die Entführung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathryn Lasky
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hielt sie für die mondwirrste Eule im Sankt Äggie.
    „Ich will bloß mal ein Gefühl dafür kriegen“, sagte Soren.
    Natürlich durfte er nicht darauf hoffen, dass 47-2 fragen würde: „Wofür?“, darum sprach er einfach weiter. Vielleicht konnte er ihr ja doch den einen oder anderen Tipp entlocken. „Es muss herrlich sein, wenn man zu guter Letzt abhebt.“ Beim Sprechen lüpfte er die Flügel ein bisschen. „Es kommt mir vor, als wüsste ich schon ganz genau, wo sich die Luft unter meinen Flügeln sammeln muss.“
    „Ach das.“ 47-2 blinzelte. „Ja, das ist ein lästiges Gefühl, aber es vergeht zum Glück wieder.“ Ihre eigenen Flügel hingen schlaff herunter. „So ist es mir anfangs auch ergangen. Keine Sorge, das lässt bald nach.“ Sie starrte mit leerem Blick vor sich hin.
    Lästig? Welcher Eule könnte dieses Gefühl je lästig sein? Doch Soren traute sich nicht, die Frage auszusprechen. Gylfie hatte den kleinen Wortwechsel belauscht und schien genauso verdutzt und beunruhigt. Den Freunden zog sich der Magen zusammen und Furcht breitete sich in ihren Gliedern aus. Sie hatten angenommen, dass die SN F – jene Eulen, die nicht fliegen sollte n – alle im Eiersaal und in der Brüterei beschäftigt waren. Gab es auch im Gewöllorium SNF?
    „Jaja“, fuhr 47-2 ausdruckslos fort, „das lässt bald nach, und es ist einfach herrlich, wenn man vom Flugdrang befreit ist.“
    Soren musste sich Mühe geben, sich seine Erschütterung nicht anmerken zu lassen. „Richtig, der Flugdrang. Ich mag’s eigentlich ganz gern, wenn der mich überkommt. Dann fühlen sich die Flügel irgendwie gut an.“
    „Ach nein. Das kann schrecklich lästig werden, glaub mir. Auch du wirst froh sein, wenn die Fledermäuse kommen.“
    Fledermäuse? Was für Fledermäuse? Soren musste 47-2 irgendwie weiter ausquetschen, schließlich konnte es für ihn und Gylfie wichtig sein.
    „Ich habe hier noch gar keine Fledermäuse gesehen“, sagte er scheinbar beiläufig.
    „Die kommen immer erst kurz vor der Erneuerung. Sie befreien uns vom Flugdrang. Du bist wohl leider noch nicht so weit. Du musst dich noch bis zur nächsten Erneuerung gedulden.“
    Soren brummte der Schädel vor lauter Fragen, aber 47-2 sprach schon weiter: „Ich habe gehört, dass die Fledermäuse heute Nacht erwartet werden. Ich freue mich schon riesig. Man schläft hinterher so gut wie nie.“
    Da hörte man Jatt und Jutt wie aus einem Schnabel kreischen: „Alle Vierziger bis Achtundvierziger sammeln sich zum dritten Schlafmarsch in Abschnitt drei!“
    „Hurra!“, jubelte das ganze Glaucidium.
    „Hurra, hurra!“ 47-2 führte ein Freudentänzchen auf.
    Zwei Märsche hatten sie schon hinter sich gebracht. Die schmale Mondfeder war an der Stelle angekommen, wo der Himmel die Erde berührte. Ein letztes Aufblinken, und sie war verschwunden. Der Himmel färbte sich rabenschwarz. Dunkelheit senkte sich auf das Glaucidium, sodass ein dritter Schlafmarsch eigentlich witzlos war.
    Trotzdem ertönte das Signal. Auch Soren und Gylfie setzten sich in Bewegung. Liefen hinter 47-2 her, blieben jedoch am Rand von Abschnitt drei verwundert stehen.
    „Was treiben die denn da?“, fragte Gylfie halblaut. Die beiden Eulenkinder trauten ihren Augen nicht, als sich nun Hunderte von Eulen auf den Rücken warfen und mit ausgebreiteten Flügeln dem Himmel die Brust darboten.
    „Das habe ich auch noch nie gesehen, dass eine Eule so dasitzt“, meinte Soren. „Es sieht aus, als wären sie verletzt.“
    „Ich glaube, ‚Sitzen‘ kann man dazu nicht sagen“, entgegnete Gylfie. „Man nennt es ‚Hinlegen‘.“
    „Hinlegen? Aber das machen doch nur andere Tiere, keine Vögel und Eulen schon gar nicht!“ Soren stockte. „Höchstens, wenn sie tot sind.“
    Aber die Eulen vor ihren Augen waren nicht tot.
    „Hörst du das?“, fragte Soren.
    Mit einem Mal erfüllte ein eigentümliches Tosen den Himmel über dem Glaucidium. Das Tosen stammte von Flügelschlägen, aber es waren nicht die nahezu lautlosen Schläge weich gefiederter Eulenflügel, es klang eher wie Klatsch-klatsch-klatsch .
    Die ersten Töne eines Liedes stiegen über den liegenden Eulen empor. Dann sah man, wie sich zehntausend Fledermäuse, schwärzer als die Nacht, vor dem Himmel abzeichneten.
    Sie wurden von den Eulen mit einem klagenden Singsang begrüßt:
    Kommt mit klatschendem Flügelschlag,
Mit euren Zähnen, blinkend und scharf,
Labt euch an unsrem Blute!
Trinkt, was uns so unruhig macht,
Was uns umtreibt

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