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Die Legende der Wächter 1: Die Entführung

Die Legende der Wächter 1: Die Entführung

Titel: Die Legende der Wächter 1: Die Entführung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathryn Lasky
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Nacht für Nacht,
Schenkt Frieden uns, löscht unsre Träume aus,
Macht dem quälenden Drang den Garau s –
Dann finden wir endlich Ruhe.
    Soren und Gylfie sahen mit großen Augen zu, wie die Vampirfledermäuse herabflatterten und mithilfe ihrer Daumenkrallen und Hinterbeine auf die am Boden liegenden Eulen kletterten. Sie suchten nach einer federfreien Stelle auf der Brust und gruben die spitzen Zähne hinein. Die Wunden leckten sie mit langen, eingerollten Zungen aus.
    Die Eulen wehrten sich nicht, seufzten nur leise. Das Schauspiel zog Soren und Gylfie so in seinen Bann, dass sie sich nicht vom Fleck rühren konnten. 47-2 wandte ihnen den Kopf zu. Sie hatte die Lider halb geschlossen, ihre Miene war friedlich.
    „Das muss doch scheußlich wehtun“, sagte Soren leise.
    „Nein, es ist herrlich. Der Drang verschwindet. Man will nicht meh r …“ Ihre Stimme verklang.
    Soren und Gylfie hätten hinterher nicht sagen können, wie lange das Ganze dauerte. Die Vampirfledermäuse schwollen beim Trinken förmlich an. So satt waren die Blutsauger, dass sie nur noch taumelnd fliegen konnten. Das erste fahle Morgenlicht erhellte das Dunkel und die Fledermäuse erhoben sich in trunkenem Trudelflug in die Lüfte.

Selbstvertrauen

    Nach jener blutigen Nacht konnten Soren und Gylfie an nichts anderes mehr denken als ans Fliegen. Ihnen war jetzt auch klar, warum keine der jungen Eulen im Sankt Äggie so glänzendes Gefieder und plustrige Dunen hatte wie in Freiheit lebende Jungvögel. Flugfedern zu bekommen, war eigentlich etwas ganz Natürliches, aber die Federn mussten ausreichend mit Blut versorgt werden, sonst verkümmerten sie und starben ab. Und damit verkümmerten und starben zugleich alle Träume vom Fliegen und von himmlischer Freiheit.
    Soren und Gylfie blieb nur eines übri g – sie mussten die Ästlingszeit überspringen und das Fliegen erlernen, ohne vorher lange zu üben. Sie mussten an ihrem Traum vom Fliegen festhalten. Sie mussten den Drang zu fliegen im Magen spüren, nur dann würde es ihnen gelingen, diese Kunst ohne ausführlichen Unterricht zu erlernen.
    Gylfie erzählte Soren, was ihr Vater immer gesagt hatte: „Wenn man kein Selbstvertrauen hat, kann man üben und üben und es nützt alles nichts. Es kommt also nicht nur auf die Übung an, Soren. Wir müssen uns das Fliegen zutrauen und wir können es uns zutrauen, weil wir nicht mondwirr sind!“
    „Mondwirr hin oder her, zum Fliegen braucht man Federn. Und mein Gefieder ist noch nicht komplett“, wandte Soren ein.
    „Das wächst schon noch. Bei der nächsten Erneuerung ist es sicher vollständig.“
    „Das ist ja gerade das Problem. Bei der nächsten Erneuerung kommen die Vampirfledermäuse wieder.“
    Gylfie sah ihn eindringlich an. „Und darum müssen wir vorher fliegen lernen.“
    „Wie denn? Ich habe noch nicht genug Federn!“
    „Aber fast.“
    „Fast? Zwischen ‚genug‘ und ‚fast genug‘ besteht ja wohl ein riesengroßer Unterschied!“
    „Stimmt. Und das Selbstvertrauen macht den Unterschied. Das Selbstvertrauen!“ Das letzte Wort stieß die kleine Elfenkäuzin so energisch hervor, dass Soren unwillkürlich zurückwich. „Du hast einen großen, kraftvollen Muskelmagen, Soren, und das weißt du auch. Man merkt dir an, dass du innerlich bereit bist. Wenn irgendeine Eule es schaffen kann, dann du.“
    Soren blinzelte verzagt. Wie konnte er an seinem Selbstvertrauen zweifeln, wenn diese kleine Käuzin, die kaum mehr wog als ein Büschel Blätter, so ein gewaltiges Selbstvertrauen hatte. Gylfie, nicht er, besaß hier den kraftvollen Magen!
    Von nun an beschäftigten sich die beiden Eulenkinder in Gedanken unablässig mit dem Fliegen. Sie sprachen darüber, wann immer sie sich unbelauscht glaubten. Sie beschrieben einander, wie sich ihre Eltern vom Nest emporgeschwungen hatten. Sie diskutierten über Flügelstellungen, Luftströmungen, Gegenwind und andere Tricks und Kniffe, die sie bei anderen Eulen beobachtet und dabei schon fast am eigenen Leib gespürt hatten. Sie führten sich die verschlungene Anordnung der Schluchten und Gänge des Sankt Äggie vor Augen. Hortenses hoch gelegener Felsvorsprung, von dem aus sie sich dem Wind im Gleitflug hätten anvertrauen können, war leider außer Reichweite. Sie mussten per Steilstart entkommen, und das wiederum war eines der schwierigsten Flugmanöver überhaupt.
    Trotzdem kam es darauf an, eine möglichst hoch gelegene Stelle aufzusuchen. Immer noch hatte Gylfie so ein Gefühl im Magen,

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