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Die Legende der Wächter 1: Die Entführung

Die Legende der Wächter 1: Die Entführung

Titel: Die Legende der Wächter 1: Die Entführung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathryn Lasky
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nicht! Beide hielten die Luft an und verfolgten die grässliche Szene, die sich nun auf dem Felsvorsprung abspielte.
    „12-8!“ Der kreischende Ruf schien den Himmel aufzureißen. Gütiger Glaux, das waren Skench und Spoorn, Jatt und Jutt! Und Tante Finny! Eine wütend aufgeplusterte Tante Finny, deren gelbe Augen ganz untypisch bösartig funkelten.
    „Ich habe das kleine Biest schon eine ganze Weile verdächtigt!“, krächzte Tante Finny und zerrte Hortense aus dem Nest, in das sie eben erst zurückgekehrt war.
    Das Ei lag sachte schaukelnd am Rand der Felsnase. Soren konnte den Blick nicht davon abwenden. Es hob sich riesengroß und zugleich ungemein zerbrechlich vom Morgenhimmel ab.
    Das könnte auch Eglantine sein! Der Gedanke ließ Soren nicht mehr los, eisige Angst packte ihn. Hier offenbarte sich die ganze Niedertracht des Sankt Äggie! Diese Niedertracht mussten sie bekämpfen!
    Das Ei schwankte, wie auch die ganze Eulenwelt ins Schwanken geraten war. Über dem Schauplatz kreiste das Adlerweibchen.
    Da ertönte auf einmal ein klagender Ruf: „Rette das E i … Kümmere dich nicht um mich! Rette das Ei! Rette das Ei!“ Es war Hortense, die da rief, was ihre Kehle hergab.
    Über den Felsvorsprung legte sich ein riesiger Schatten, dann sah man nur noch Federn, einen wahren Wirbelsturm aus Federn. Durch das rosige Morgenlicht des anbrechenden Tages flogen Federn und Flaum. Die Adlerin war überall gleichzeitig und Hortense flehte immer noch: „Rette das Ei! Rette das Ei!“
    Tante Finny kämpfte am erbittertsten. Ihr Schnabel hackte und schnappte, ihre gelben Augen sprühten, sie hieb mit den Klauen nach den Augen der Adlerin, sie war ein einziges weißes Wutknäuel. Dabei keifte sie wie eine Irre: „Stirb! Stirb!“ Ihr gefiedertes Gesicht verzerrte sich zur Maske, einer grausamen, weißen Maske mit schwarzem Schnabel und gelben Augen.
    Da holte die Adlerin mit der mächtigen Schwinge aus, fegte Tante Finny um, nahm das Ei in die Fänge und erhob sich damit in die Lüfte.
    Hortenses Rufe wurden leiser, schienen zu verklingen, zu verstummen, als o b … Soren und Gylfie sahen einander verstört an. Aus Sorens dunklen Augen rannen zwei dicke Tränen. „Sie ist abgestürzt, nicht wahr, Gylfie?“
    „Die haben sie runtergestoßen.“
    Tatsächlic h – Tante Finny und Spoorn standen am Rand des Felsvorsprungs und spähten in den Abgrund. „Tschüssi!“, gurrte Tante Finny und winkte mit dem zerrupften Flügel. „Tschüssi, 12-8, du dummes Ding!“ Aus dem Gurren wurde ein schauriges Fauchen.
    „Aber die Adlerin hat das Ei gerettet“, sagte Gylfie schließlich leise.
    „Glaub schon“, gab Soren zurück.
    Und das war das Ende von Hortense, der Heldin von Ambala.
    Der Eiersaal wurde vorübergehend geschlossen. Alle Aushilfskräfte aus dem Eiersaal und der Brüterei wurden zur Bestrafung in die Mondstich-Schlucht beordert, denn schon in der nächsten Nacht sollte wieder voller Schein herrschen. In ihrem Felsspalt hatten Soren und Gylfie noch mit angehört, wie sich Tante Finny, Spoorn und Skench darauf geeinigt hatten, dass der Vorfall unter keinen Umständen bekannt werden dürfe. Tante Finny sprach wieder in ihrem üblichen säuselnden Tonfall. Sie beklagte ausgiebig, wie es nur so weit hatte kommen können, dass ihr Schützling, die vorbildlich mondwirre Nummer 12-8, derart auf Abwege geraten sei.
    Noch einmal gelang es Soren und Gylfie, die Mondstich-Behandlung unbeschadet zu überstehen, indem sie sich wieder die Geschichten aus alter Zeit erzählten, wie die Legenden von Ga’Hoole bei Gylfies Volk hießen. Und Soren, der sich als begnadeter Erzähler erwies, erfand eine ganz neue Legende. Im grellen Mondlicht trug er Gylfie die ersten Sätze vor.
    „Sie war eine unvergleichliche Eul e …“, begann er und sah dabei Hortense vor sich. „Ihr Gesicht war schön und freundlich, ihre großen braunen Augen blickten mitfühlend und leuchteten wie zwei kleine Sonnen. Zwar waren ihre Flügel verkrüppelt, doch gerade aus dieser Schwäche schöpfte sie ungeheure Stärke. Denn sie war eine Eule, die stets für das Gute eintrat, die von der Freiheit träumte und dafür ihre eigene Freiheit opferte und auf einem felsigen Grat an einem gesetzlosen Ort ihre ganz persönliche Schlacht schlug.“
    Als der gleißende Mond allmählich unterging, kam auch Soren zum Ende seiner Geschichte.

Blutige Nacht

    Es war die letzte Nacht des Schwindens, und der Mond glich einer Flaumfeder. Soren steckte prüfend den

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