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Die Legende der Wächter 1: Die Entführung

Die Legende der Wächter 1: Die Entführung

Titel: Die Legende der Wächter 1: Die Entführung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathryn Lasky
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zurücklassen wollten“, widersprach Gylfie leise. „Sie dachten eben, dass du nicht mehr wiederkommst, weil du entführt wurdest.“
    „Quatsch! Meine Eltern würden fest daran glauben, dass ich eines Tages wiederkomme! Sie würden darauf vertrauen, so wie wir gelernt haben, unseren Flügeln zu vertrauen. Meine Mutter wäre niemals einverstanden gewesen wegzuziehen. Sie gibt die Hoffnung sicher nicht auf, dass ich wiederkomme!“
    Als Soren das Wort „Hoffnung“ aussprach, kam es ihm mit einem Mal vor, als bräche etwas in ihm zusammen, ja, als zerfiele sein Magen in kleine Stücke. Er brach in Tränen aus. Konnte es wirklich sein, dass seine Eltern die Hoffnung aufgegeben hatten, ihn wiederzusehen? Ein krampfhaftes Zittern überlief ihn, sein vom Schnee steifes Gefieder sträubte sich.
    Da ergriff Morgengrau das Wort. „Deine Eltern sind fort, Soren. Kann ja auch sein, dass ihnen was zugestoßen ist. Nimm’s einfach nicht persönlich. Kopf hoch, Kumpel!“
    „Nicht persönlich? Was könnte persönlicher sein als die eigenen Eltern? Davon verstehst du nichts, Morgengrau, du hast deine Familie ja gar nicht richtig gekannt. Du erzählst uns doch andauernd, durch was für eine harte Schule du als echte Waise gegangen bist. Du weißt nicht, wie weich die Dunenfedern einer Mutter sind, dir hat nie ein Vater Geschichten erzählt oder etwas vorgesungen. Weißt du überhaupt, was ein Gesangbuch ist? Bestimmt nicht. Aber wir Schleiereulen, wir wissen über Gesangbücher Bescheid und wir wissen, wie weich die Dunen einer Mutter sind.“
    Morgengrau hatte das mit Eiskristallen übersäte Gefieder aufgeplustert, er sah furchterregend aus. „Ich will dir mal sagen, was ich alles weiß, du jämmerlicher Kümmerling! Die ganze Welt ist meine Familie. Ich weiß, wie weich das Fell einer Fuchsfähe ist. Ich habe das grüne Funkeln gesehen, das in mondhellen Frühjahrsnächten in den Augen der Füchse leuchtet. Ich weiß übers Fischen Bescheid, weil ein Adler es mir beigebracht hat. Und wenn das Fleisch mal knapp ist, weiß ich, dass in morschen Bäumen die saftigsten Maden zu finden sind. Ich weiß eine ganze Menge!“
    „Hört auf!“, schrie Gylfie. „Du bist jetzt todtraurig, Soren. Mir wird es genauso gehen.“
    Soren hob verwundert den Kopf. „Wie meinst du das?“
    „Du glaubst doch nicht, dass meine Eltern noch da sind, oder?“ Sie wartete Sorens Antwort nicht ab. „Nie im Leben, das weiß ich jetzt schon.“
    „Woher?“, fragte Soren. Auch Morgengrau schien überrascht.
    „Man hat uns beide doch entführt, Soren, daher. Du glaubst doch nicht, dass unsere Eltern danach einfach in ihren Nestern geblieben sind, wo die Häscher aus Sankt Ägolius jederzeit wieder vorbeikommen und das nächste Küken rauben können? Alle Eltern, die halbwegs bei Verstand sind, würden nach einem solchen Vorfall wegziehen, weil sie nicht alle ihre Küken verlieren wollen. Ich glaube, ich weiß auch, wo meine hingezogen sind.“
    „Wohin denn?“
    „In den Großen Ga’Hoole-Baum.“
    „Wie kommst du denn darauf?“ Soren blinzelte erstaunt. „Ob es den gibt, weiß doch niemand. Der kommt doch nur in de n … Wie heißen die alten Legenden bei deinem Volk doch gleich?“
    „Geschichten aus alter Zeit.“
    „ … in den Geschichten aus alter Zeit vor. Warum beim Glaux sollten deine Eltern an einen Ort umziehen, den es aller Wahrscheinlichkeit nach überhaupt nicht gibt?“
    „Weil ihnen vielleicht nichts anderes übrig geblieben ist.“
    „Das ist doch kein Grund.“
    Daraufhin entgegnete Gylfie mit fester Stimme: „Weil ihre Mägen es ihnen gesagt haben.“
    „Wie kann der Magen einem sagen, dass man an einen erfundenen Ort ziehen soll? Das ist doch Waschbärkacke, Gylfie.“ Ein schmutziges Wort zu benutzen, tat Soren gut, gleichzeitig kam es ihm vor, als ob er mit seinen abfälligen Äußerungen die Überzeugungen seines Vaters verriet. Hatte sein Vater nicht gesagt, dass sich eine Legende zuerst im Magen bemerkbar machte und dann nach und nach im Herzen wahr würde? „Waschbärkacke!“, schimpfte er noch einmal. „Was du da redest, widerspricht dem gesunden Eulenverstand, Gylfie, das weißt du selber.“ Obwohl er so wütend war, fühlte er sich auf einmal ganz elend.
    „Seit wann geht es denn darum? Kann der gesunde Eulenverstand etwa eine Einrichtung wie das Sankt Äggie begreifen? Handeln Eulen wie Skench und Spoorn nach dem gesunden Eulenverstand?“
    „Grimbel schon“, sagte Soren tonlos.
    „Ja, Grimbel

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