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Die Legende der Wächter 1: Die Entführung

Die Legende der Wächter 1: Die Entführung

Titel: Die Legende der Wächter 1: Die Entführung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathryn Lasky
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war mit jener, durch die er gegangen war: die Schule eines echten Waisenkindes. Wo man lernte, sich allein durchzuschlagen. Eine harte Schule war das. Alles hatte er sich selbst beibringen müssen: das Fliegen, das Jagen, welche Tiere fressbar waren und um welche man einen großen Bogen machen musste. Nein, keine Lehranstalt der Welt konnte einem das bieten, was er hatte lernen müsse n – die unbarmherzigen Gesetze des Waldes, einer Welt voller unschätzbarer Reichtümer und zahlloser Gefahren. Um dort zu überleben, musste man zäher als zäh sein. Und das war er, Morgengra u – zäh.
    Gylfie hatte sich anscheinend von ihrer Verblüffung erholt. „Gestatte, dass wir uns vorstellen. Ich bin Gylfie, Elfenkäuzin, auch unter der offiziellen Bezeichnung Micrathene whitneyi bekannt, in Wüstengegenden beheimatet, Zugvogel, Höhlenbrüter.“
    „Weiß ich, weiß ich. Hab ’ne Zeit lang in einem hohlen Kaktus mit ein paar von deinen Leuten zusammengelebt. Was eure Jagdkünste betriff t … Oje, wie sag ich’s am besten? Na ja, wenn man in der Wüste lebt und sich nur von Schlangen ernährt, braucht man halt andere Fähigkeiten als ein Waldbewohner.“
    „Na hör mal, wir ernähren uns nicht nur von Schlangen. Wir fressen genauso Wühlmäuse und andere Mäuse, bloß keine Ratten, die sind uns dann doch zu groß.“
    „Ach, vergiss es einfach.“ Das große Eulenmännchen blinzelte Soren an. „Und du, Kumpel? Was bist du für einer?“
    Soren beschloss, sich kürzer zu fassen als Gylfie. „Soren aus Tyto, Schleiereule.“
    Es würde ihren neuen Bekannten wohl nicht interessieren, dass die Gattung Tyto alba als selten galt. Ihn schien ohnehin kaum etwas zu beeindrucken. „Ich habe mit meinen Eltern in einer alten Tanne gelebt, bi s …“ Ihm versagte die Stimme.
    „Bis zu jenem schrecklichen Tag.“
    Sein Gegenüber blinzelte und zupfte Soren mit dem Schnabel sacht im Schultergefieder wie beim Putzen. Soren und Gylfie waren erstaunt. Solche liebevolle Gefiederpflege hatten sie nicht mehr erlebt, seit sie aus dem Nest gefallen waren. Ihre Eltern hatten oft mit behutsamem Zupfen das Gefieder ihrer Kinder und Gatten gesäubert und aufgeplustert, auch die spärlichen Daunen der ganz kleinen Küken. Es war eine fürsorgliche, beruhigende Geste. Sie hatten schon fast vergessen, dass alle normalen Eulen ihre Familienmitglieder, nahe Verwandte und Freunde putzten und von ihnen geputzt wurden. Die Freundlichkeit des wildfremden Männchens überwältigte Soren.
    Ihr neuer Bekannter wandte sich nun an Gylfie: „Und du, Kleine mit dem großen Schnabelwerk, komm doch auch mal rüber. Ist bestimmt ’ne ganze Weile her, dass dir wer die Federn zurechtgezupft hat.“ Gylfie folgte der Aufforderung und der Bartkauz erzählte seine Geschichte, während er abwechselnd den einen und den anderen Jungvogel putzte.
    „Ich heiße Morgengrau. Woher ich den Namen habe, weiß ich nicht. Ich heiße eben so.“
    „Der Name passt gut zu dir“, sagte Soren leise. „Zu deinem silbergrauen Gefieder.“
    „Stimmt, ich bin gra u – weder weiß noch schwarz. Und ich verwette meinen Muskelmagen drauf, dass ich auch um jene Stunde geschlüpft bin, wo die Nacht dem Tag weicht und ein silbrig graues Licht herrscht. Die meisten Eulen sind ja auf ihre Nachtsicht stolz. Von unserem Ansitz aus erkennen wir noch in der schwärzesten Nacht Dinge, die anderen Vögeln entgehe n – eine umherhuschende Wühlmaus, ein Eichhörnchen. Das sehe ich alles auch, aber ich kann auch dann noch ausgezeichnet sehen, wenn es anderen Eulen schwerfällt, nämlich im Dämmerlicht, wenn die Umrisse, die Begrenzungen verschwimmen. Ich bin ein Grenzgänger und so gefällt’s mir auch.“
    „Und was führt dich an die Grenze zu Tyto?“
    „Ich hab von einem gewissen Ort gehört, der am besten zu finden sein soll, wenn man dem Lauf des Flusses Hoole folgt. Der Bach, der unter diesem Baum fließt, auf dem wir sitzen, müsste eigentlich in den Hoole münden, oder warum sollte hier sonst ein Ga’Hoole-Baum stehen?“
    Das klang einleuchtend. „Und dieser gewisse Ort“, hakte Gylfie nach, „ist der auch an einer Grenze?“
    „Na ja, eher in der Mitte. Ich bin trotzdem neugierig drauf.“
    „In der Mitte wovon denn?“, fragte jetzt Soren.
    „Der Hoole mündet in einen großen See, manche sagen sogar ‚Meer‘ dazu, ‚Hoolemeer‘. Mitten im Hoolemeer liegt eine Insel. Auf der Insel wächst ein Baum. Ein sehr großer Baum. Man nennt ihn auch den Großen

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