Die Legende der Wächter 10: Der Auserwählte (German Edition)
ich euch nicht eher davon erzählt habe.“
„Jetzt verstehe ich, was los war!“, sagte Gränk. „Und ich dachte schon …“
„Was dachtest du, Onkel Gränk? Bist du jetzt sauer auf mich?“
„Nein. Du bist also wie ich ein Feuerseher. Aber deine Gabe ist stärker als meine. Darum zeigen mir die Flammen nur noch undeutliche Bilder.“
„Das wollte ich nicht, Onkel Gränk. Ehrlich nicht!“
„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Freu dich lieber über deine außergewöhnliche Begabung.“
„Was soll das sein – ein Feuerseher?“ Phineas schaute Schneerose an.
„Nie gehört“, gab die Stromerin kopfschüttelnd zurück.
Theo dachte daran, wie das Ei mit dem noch ungeschlüpften Hoole geleuchtet hatte. Dieser junge Fleckenkauz war nicht nur Prinz von N’yrthgar. Er war auch der Einzige, dem es gelingen konnte, das Land von den Hägsdämonen zu befreien. Der Einzige, der ihrer Magie gewachsen war. Ich werde in den Hinterlanden meine Schmiedekünste vervollkommnen. Hoole aber wird seinen Charakter vervollkommnen, damit er eines Tages König werden kann.
König!
Fengo saß auf einem Felsen, legte den Kopf in den Nacken und heulte. Die lang gezogenen Töne hallten durch die Nacht.
Wolfsgeheul dient vor allem der Verständigung. Die Wölfe teilen einander mit, ob Gefahr droht, wo die Reviergrenzen verlaufen und ob eine Rentierherde in der Nähe ist.
Manchmal heulen sie aber auch nur für sich allein – wenn sie Kummer haben oder den Großen Lupus um etwas bitten wollen.
Fengos Freund Gränk war noch nie so lange fortgeblieben. König H’rath hatte ihn per Boten aufgefordert, nach N’yrthgar zurückzukehren. Gränk hatte die Eulenglut wieder in einen Vulkan geworfen und war sofort losgeflogen.
Das war nun schon mehrere Monde her. Fengo fürchtete, dass seinem Freund etwas zugestoßen war.
Fengos Blick war auf das Sternbild des Großen Lupus gerichtet.
Wo ist er? Wo ist Gränk?
Noch nie
War er so lange fort.
Ist er tot?
Fliegt er auf dem Sternenpfad,
Oh Großer Lupus?
Mein Freund, der tapfere Eulerich –
Ich ein Wolf – er ein Vogel.
Ich auf der Erde – er am Himmel.
Wir beide – Brüder.
Diese Art Geheul nannte man „Glaffen“. Einen glaffenden Wolf zu stören, galt als äußerst unhöflich. Trotzdem erklomm ein zweiter Wolf den Felsen, auf dem Fengo saß. Fengo hörte nicht auf zu heulen, aber er erhob sich und sträubte drohend das Nackenfell. Daraufhin duckte sich der andere Wolf und zog unterwürfig grinsend die Lefzen hoch. So kroch er auf Fengo zu.
Fengo tat so, als sähe er ihn nicht. Diese MacHeath haben einfach kein Benehmen! Warum habe ich ihren Clan bloß damals mitgenommen?
In Fengos ehemaligem Revier im Westen war es immer kälter geworden, noch kälter als in N’yrthgar. Irgendwann waren sämtliche Flüsse und Seen zugefroren, sogar die Wasserfälle. Die Wölfe hätten dort nicht überleben können. Sie mussten auswandern. Unzählige Monde lang waren sie unterwegs gewesen, bis sie schließlich die Hinterlande entdeckt hatten. Dort sorgten die Vulkane dafür, dass Erde und Wasser niemals gefroren.
Widerstrebend drehte Fengo sich um. Er konnte Dunleavy MacHeath nicht ausstehen. Dunleavy war machtgierig und brutal. In seinen Wutanfällen biss er sogar seine eigenen Gefährtinnen und Welpen tot.
„Was gibt’s?“, knurrte Fengo knapp.
„Ich möchte dir dienen.“
Fengo wusste sofort, worauf Dunleavy hinauswollte. Viele Wölfe hatten miterlebt, wie Gränk die Glut aus dem Vulkan geborgen hatte. Alle hatten gespürt, dass dieses Glutstück außergewöhnliche Kräfte besaß. Die meisten waren klug genug, sich davon fernzuhalten. Nicht so Dunleavy. Die Glut und der fremde Eulerich zogen ihn an. Jetzt wartete er auf Fengos Antwort. Aber Fengo schwieg.
Dunleavy wurde ärgerlich. „Er hatte ganz Recht.“
„Wer hatte Recht?“
„Dein Freund Gränk, nach dem du gerade geglafft hast. Er hat das Glutstück ,Wolfsglut‘ genannt. Sie leuchtet genauso grün wie unsere Augen.“ Dunleavy schloss die Lider halb, sodass nur noch ein funkelnder Schlitz zu sehen war.
„Die Glut leuchtet nicht nur grün, sondern auch rot und blau“, widersprach Fengo.
„Ja, aber das Blau in der Mitte hat einen grünen Rand – grün wie Wolfsaugen.“
Jetzt verlor Fengo die Geduld. Er ging auf Dunleavy los. Dunleavy nahm wieder seine geduckte Haltung ein und stieß einen halb winselnden, halb knurrenden Laut aus. Es war, als könnte er sich nicht zwischen Angriffslust und
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