Die Legende der Wächter 10: Der Auserwählte (German Edition)
Unterwürfigkeit entscheiden.
Fengos verächtlicher Blick erlöste ihn aus seinem Zwiespalt. Dunleavy machte einen Satz und grub Fengo die Zähne in die Schulter. Er war größer und breitschultriger als Fengo, aber Fengo war ein erfahrener Kämpfer, der alle Tricks beherrschte. Er wälzte sich herum und ließ sich den Felsen hinunterrollen. Dunleavy war immer noch in seine Schulter verbissen. Im Hinunterrollen wandte Fengo unversehens den Kopf und biss zu. Er hatte es auf die empfindliche Schnauze seines Gegners abgesehen, erwischte aber stattdessen sein Auge. Dunleavy jaulte gellend auf und ließ Fengo los.
Fengo war noch nicht fertig mit ihm. Er wollte Dunleavy nicht töten, aber die anderen Wölfe sollten wissen, wer von ihnen beiden der Leitwolf war. Als Dunleavy die Flucht ergreifen wollte, packte Fengo ihn am Hinterlauf.
Dunleavys Augenhöhle war blutüberströmt. „Jetzt kannst du keine begehrlichen Blicke mehr auf die Eulenglut werfen!“, knurrte Fengo. „Deine Weibchen und Welpen brauchen sich nicht mehr vor dir zu fürchten. Sie sind endlich frei.“
Die anderen Wölfe waren unterdessen am Fuß des Abhangs zusammengeströmt. Fengo richtete das Wort an sie.
„Ich habe euch schon oft erzählt, dass nicht ich euch in dieses Land geführt habe, sondern der Geist einer längst verstorbenen Hoole. So haben wir Wölfe die erste Eule genannt und seither heißen alle Eulen so. Und darum gehört die Glut, die mein Freund Gränk entdeckt hat, auch nicht uns Wölfen, sondern den Eulen. Unsere Aufgabe ist es, die Glut so lange zu bewachen, bis der Eulenkönig hier eintrifft.“
„Äh … Fengo?“ Ein junger Wolf aus dem MacDuncan-Clan meldete sich zu Wort. Er hieß Dunmore. Fengo hielt viel von ihm. Dunmore war ungewöhnlich klug für seine Jugend. Er hatte von Geburt an ein verkrüppeltes Bein. Davon ließ er sich aber nicht behindern. Er hatte auf der langen Wanderung mit den anderen Wölfen mitgehalten und sich nie beklagt. Außerdem war Dunmore sehr feinfühlig. Er spürte stets als Erster, wenn Gefahr drohte.
„Ja bitte, Dunmore?“
„Ist der Eulenkönig auch unser König?“
„Nein, aber er wird uns beistehen, wenn wir bedroht werden. Im Norden treiben sogenannte Hägsdämonen ihr Unwesen. Sie verfügen über magische Kräfte. Sie wollen nicht nur die Herrschaft über alle Eulen erlangen, sondern über die ganze Welt. Die Dämonen haben nur eine Schwäche – sie fürchten sich vor Salzwasser. Daher vermeiden sie es, über offenes Meer zu fliegen. Sollte sich das irgendwann ändern, sind auch wir nicht mehr vor ihnen sicher.“
Dunmore hatte noch eine Frage. „Woran erkennt man den Eulenkönig denn?“
Der Bursche ist nicht auf den Kopf gefallen , dachte Fengo anerkennend. Er selbst hatte sich lange mit dieser Frage beschäftigt. Noch war Gränk die einzige Eule, die in Vulkanfeuer hineinfliegen konnte. Doch in der Eulenwelt verbreiteten sich Neuigkeiten rasch. Bald würden auch andere Eulen die Kunst des Glutsammelns erlernen. Es wäre eine Katastrophe, wenn die Glut dem Falschen in die Fänge fiele! Zum Beispiel einem der Verräter, die König H’rath auf dem Gewissen haben …
Der Vulkan, in den Gränk vor seinem Abflug die Glut geworfen hatte, trug den Beinamen „Sturmwind“. Es war aber nicht gesagt, dass die Glut immer noch in seinem Krater ruhte. Die fünf Vulkane bildeten einen Kreis. Unterirdische Lavaflüsse strömten von einem zum anderen. Vielleicht hatten sie die Glut in einen anderen Krater hinübergeschwemmt. Fengo hatte bereits erwogen, einen Wachdienst für den gesamten Vulkankreis einzurichten, eine Garde. Der junge Dunmore MacDuncan wäre bestimmt ein fähiger Hauptwolf.
Die Wölfe zerstreuten sich wieder. Fengo schaute ihnen gespannt nach. Würden Dunleavys Gefährtinnen die Gelegenheit ergreifen und ihn verlassen? Fengo sah, wie der Verwundete von einem Weibchen zum nächsten schlich. Bestimmt machte er ihnen Versprechungen.
Tatsächlich wandte sich nur eine Einzige von ihm ab. Horda war das älteste Weibchen des MacHeath-Clans. Ihre Ohren waren nur noch Stummel. Dunleavy hatte sie ihr abgebissen, als Horda es irgendwann gewagt hatte, ihm zu widersprechen. Jetzt hatte sie offenbar endgültig die Schnauze voll von ihm.
Vielleicht ist sie aber auch nur zu alt, um noch Welpen zu bekommen , dachte Fengo. Warum ist sie überhaupt so lange bei ihm geblieben? Anscheinend hatte Dunleavy seine Weibchen so fest im Griff, dass sie ihm auch dann noch folgten, wenn er sie
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