Die Legende der Wächter 10: Der Auserwählte (German Edition)
müssen noch das Südmeer überqueren.“
„Ist das Südmeer auch so grün wie das Meer bei uns im Norden?“
„Das kann ich dir nicht sagen. Über dem Südmeer liegt beständig dichter Nebel. Ich habe nur einmal erlebt, dass sich der Nebel lichtete und den Blick auf eine Insel freigab.“
„Gibt es auf dieser Insel zufällig Bäume, auf denen wir eine Pause einlegen könnten?“, erkundigte sich Theo.
„Leider nein. Die Insel besteht nur aus kahlem, unbelebtem Fels. Aber wenn ich sie wiederfinde, landen wir trotzdem dort und ruhen uns aus.“
Bald darauf erreichten sie das Südmeer. Anfangs war das Wasser vor lauter Nebel tatsächlich nicht zu erkennen, doch dann klarte es plötzlich auf. „Haben wir ein Glück!“, sagte Gränk. Bald war auch der letzte Dunst verflogen und die Sonne strahlte vom blauen Himmel.
„Insel voraus!“, rief Hoole.
Die vier Eulen gingen kreisend in den Sinkflug.
Schon beim ersten Blick auf die Insel hatte Hoole ein schmerzliches Ziehen im Magen gespürt. Als sie gelandet waren, überwältigte ihn plötzlich die gleiche Sehnsucht, die er beim Anblick seiner Mutter im Feuer empfunden hatte. Er ließ den Kopf hängen und eine Träne fiel auf seine Zehen. Seine drei Begleiter begriffen, dass Hoole nicht nur erschöpft von dem langen Flug war. Er schien nichts mehr um sich herum wahrzunehmen. „Er hat einen Magentraum“, sagte Gränk leise.
Hoole konnte den Blick nicht vom Boden lösen. Der Fels war mit einer dünnen Schicht Erde bedeckt. In der Erde regte sich etwas. Hoole musste an die Schneewehen seiner Heimat denken, in denen sich bei Tauwetter Eiswürmer ringelten. Es war aber kein Wurm, der sich hier unter der Erde regte, sondern etwas Grünes.
„Du, Onkel Gränk …“
„Ja?“
„Du hast dich geirrt.“
„Was meinst du damit?“
„Diese Insel ist nicht unbelebt.“
„Wieso denn nicht?“
„Weil hier ein junger Baum wächst.“
Gränk, Theo und Phineas drängten sich neugierig um Hoole. Zwischen seinen Füßen durchstieß eine grüne Spitze die Erdkrume. Sie spross in die Höhe und entfaltete zwei Keimblätter.
„Beim Glaux – du hast Recht!“, sagte Gränk staunend.
„Und wie schnell er wächst!“, sagte Phineas. „Er ist schon fast so groß wie ich.“
„So etwas habe ich noch nie gesehen. Hoffentlich ist das keine Hägsmagie.“ Als Gränk das Wort aussprach, erbebte der Keimling.
„Das glaube ich nicht“, sagte Hoole entschieden. „Dieser Baum hat nichts mit bösen Mächten zu tun. Er hat Ga’.“
„Nur Eulen haben Ga’. Bäume nicht“, wandte Theo ein.
„Dieser Baum schon!“
Als sie weiterflogen, war der Baum bereits so groß wie Hoole. Der Nebel war zurückgekehrt und schloss sich über der Insel. Als die vier Gefährten Kap Glaux erreichten, war der Baum größer als Theo. Doch das sahen sie nicht mehr.
Hinter Kap Glaux schlugen sie einen nördlichen Kurs ein. Gränk wollte nicht über Gegenden fliegen, in denen viele Eulen lebten, darum machten sie einen Bogen um den Schattenwald und um Silberschleier. Sie kehrten auch nicht in einem Met-Baum ein, um sich mit vergorenem Beerensaft zu stärken. Je weniger anderen Eulen sie begegneten, desto besser, fand Gränk.
Hoole war enttäuscht. Berwick hatte ihm von der grünen Pracht der Bäume in Silberschleier vorgeschwärmt. Hoole hatte sogar heimlich gehofft, den Glaux-Bruder dort wiederzutreffen.
Sie verbrachten die Nacht auf einer Tanne am Rand des Schattenwaldes. Ganz in der Nähe war eine Lichtung. Die Bäume um die Lichtung herum waren kahl und hatten schneeweiße Rinde. Dort wohnten die Geisterschnäbel verstorbener Eulen, die auf Erden noch etwas zu erledigen hatten.
Die Tanne war schon vielen Stürmen ausgesetzt gewesen. Sie bog sich im Wind und ächzte jämmerlich. Gränk hatte ein ungutes Gefühl im Magen.
„Du verlässt die Baumhöhle nicht, Hoole. Auch nicht für einen kleinen Morgenflug. Du musst schlafen, damit du ausgeruht bist, wenn wir weiterfliegen.“
„Wenn wir in den Hinterlanden sind, bringst du mir das Glutsammeln bei, nicht wahr?“
„Habe ich das gesagt?“
„Du hast es mir versprochen!“
„Ich pflege meine Versprechen zu halten. Und jetzt schlaf.“
Gränk hatte noch andere Pläne mit Hoole. Sein Wolfsfreund Fengo sollte dem jungen Eulerich beibringen, was er über Vulkane wusste. Fengo kannte sich mit den Feuer speienden Bergen aus wie kein anderer. Die fünf Vulkane gaben jeweils ganz verschiedene Geräusche von sich. Gränk musste dabei
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