Die Legende der Wächter 2: Die Wanderschaft
ob sie sich auch vor Ezylryb fürchtete, aber er wollte nicht zugeben, dass er selbst Angst hatte. Ruby war hart im Nehmen. Eine Rettungsbrigade hatte sie kurz nach Sorens Ankunft im Baum abgeliefert. Ruby war nicht aus dem Nest gefalle n – wie sollte man auch hinauspurzeln, wenn das Nest auf der Erde gebaut war? Nein, ihre Eltern waren jagen gewesen und irgendetwas hatte die junge Sumpfohreule so sehr erschreckt, dass sie weggeflogen war, obwohl ihre Hauptfedern noch nicht ausgebildet waren. Was sie derart in Angst versetzt hatte, konnte nie geklärt werden. Erschöpft war sie auf einem der wenigen Bäume in der grasbewachsenen Ebene gelandet. Als die Rettungsbrigade sie entdeckt hatte, hatte sie immer nur gerufen: „Hier oben finden die mich nicht! Die kommen niemals auf die Idee, dass eine Sumpfohreule, die noch nicht flügge ist, hier hochkommt!“ Wer „die“ waren, wusste niemand und Ruby schwieg sich darüber aus.
Die Übungsstunde war zu Ende. Soren hätte am liebsten das Teetrinken geschwänzt. Wenn es wie gestern ablief, würde Morgengrau wieder mit seinen Flugkünsten prahlen, Gylfie und Digger würden sich angeregt darüber unterhalten, wie spannend ihre Ausbildung war, und er, Soren, hätte nichts beizutragen. Vielleicht sollte er wirklich schwänze n … Doch da kam Bubo zu ihm herüber.
„Bald wird es dir leichter fallen, Soren, versprochen. Ich weiß, dass es schwer für dich ist. Du wolltest nicht in diese Brigade, dabei ist es eigentlich eine Ehre, in eine Doppelschicht eingeteilt zu werden. Ich glaub, du bist sogar die erste Schleiereule, die dafür ausgewählt wurde. Kopf hoch, Kleiner. Dein Magen ist jetzt einfach etwas durcheinander. Trink mit mir in der Schmiede Tee. Ich hab ein paar Maulwürfe gefangen, du kannst sie roh oder geräuchert fressen, ganz wie es dir beliebt. Mr s Cook hat auch einen schönen Milchbeerkuchen gebacken.“
Und so folgte Soren Bubo in eine Höhle unweit des Baumes. Dort war die Schmiede untergebracht und hier wohnte der Uhu auch. Soren hatte Bubo noch nie besucht. Als sie in den hinteren Teil der Höhle kamen, wo es nicht mehr ganz so heiß war, fand er es ausgesprochen gemütlich. Auf dem Boden lagen Maulwurfsfellteppiche, außerdem besaß Bubo erstaunlich viele Bücher. Soren hätte nicht gedacht, dass der Schmied so gern las.
Unwillkürlich erinnerte er sich an die Höhle des Streifenkauzes. Ob der Streifenkauz auch ein Schmied gewesen war? Aber er hatte doch ganz allein im Wald geleb t … Soren erzählte Bubo nichts davon, weil er lieber nicht an die letzten Worte des Sterbenden denken wollte: „Schön wär’s“.
„Was ist das da oben?“, fragte er stattdessen und wies auf ein seltsames Gebilde an der Höhlendecke. Bunte Teile waren daran angebracht, sie fingen das Licht der vielen Kerzen ein und drehten sich, wobei sie Farbflecken an die Wände warfen.
„Das ist mein Drehglas. Hat mir Plonk geschenkt.“
„Madame Plonk?“, vergewisserte sich Soren überrascht. Er hatte noch nie gehört, dass jemand die Sängerin einfach „Plonk“ nannte.
„Wer sonst? Plonk und ich, wir beide sin d … wir sind alte Bekannte.“ Bubo zwinkerte Soren vielsagend zu. Ob der Schmied etwa auch in den Aufzeichnungen über Madame Plonks Liebesleben vorkam? „Plonk hat gute Beziehungen zu Ellie und kann mir jede Menge Glasstückchen beschaffen.“ Bubo schob Soren eine Teetasse und ein Stück Maulwurfsfleisch hin. „Wenn ihr demnächst mit Ezylryb Wetterflüge unternehmt, dürft ihr kein gebratenes Fleisch mehr fressen. Ezylryb erlaubt seinen Wetterfliegern nur rohes Fleisch mit Fell dran. Er sagt immer, man kann nicht mit gebratenem Fleisch im Bauch durch einen Sturm fliegen, der Muskelmagen muss was zu tun haben!“
„Aha. Und wer ist Ellie?“
„Hast du noch nie von Krämer-Ellie gehört?“ Soren schüttelte den Kopf. „Stimmt, du bist noch nicht lang hier und sie hat uns zuletzt im Sommer besucht.“
Der Uhu deutete mit dem Fuß auf sein Drehglas. „Die bunten Glasstücke da oben stammen von einem sogenannten Fenster in einer sogenannten Kirche.“
„Eine Kirche!“, rief Soren aus. „Kirchen kenne ich. Dort gibt es bunte Glasfenster. Wir Schleiereulen haben früher oft in Kirchen genistet.“
„Stimmt. Manche Schleiereulenfamilien leben immer noch in Kirchen, einige auch in Burgen.“
„Und was sind Burgen?“
„Eine Burg ist keine Kirche, sondern so ein altes Steindingsbums mit Türmen und Mauern. Die Burgen wurden von den Anderen
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