Die Legende der Wächter 8: Die Flucht
sehen als wir.“
„Das mache ich gern. Aber wonach soll ich Ausschau halten? Ich habe zwar gute Augen, aber ich glaube nicht, dass ich von dort oben einen verdächtigen Pfotenabdruck erkenne.“
„Das vielleicht nicht, aber du kannst Ausschau nach dem kranken Wolf halten. Du erkennst ihn daran, dass er beim Laufen taumelt. Weißer Sabber tropft ihm aus dem Maul und er atmet unregelmäßig. Seine Atemzüge hören sich an, als ob Kieselsteine rasselten – ein grässliches Geräusch. Wir werden ihn bereits wittern, bevor du ihn siehst. Aber wenn wir uns zusammentun, können wir ihn besser orten und ihm ausweichen.“
„Ich helfe euch gern“, wiederholte Coryn. Er freute sich, dass er den Wölfen nun ihre Gastfreundschaft vergelten konnte.
Coryn hätte nicht sagen können, wie viele Tage und Nächte vergangen waren, seit sie den Pfotenabdruck des kranken Wolfes entdeckt hatten. Doch bis jetzt hatten sie keine weiteren Spuren gefunden. Coryn war mehrmals vorausgeflogen, hatte aber keinen Wolf mit den Zeichen der Krankheit erspäht.
Ihm fiel auf, dass der Clanführer und etliche seiner Edlen immer öfter umherschnüffelten und Duftmarken absetzten. Hatte Coryn etwas übersehen? Durch dieses Verhalten der Anführer kam die Byrrgis noch langsamer voran. Eines Abends, es wurde schon dunkel, landete Coryn wie so oft auf Hamischs Rücken. Die Byrrgis hatte angehalten. Ein paar Wölfe scherten aus der Reihe aus und liefen in verschiedene Richtungen. „Was ist los?“, fragte Coryn. „Habt ihr den kranken Wolf gewittert?“
„Nein, wir sind in das Revier des MacHeath-Clans vorgedrungen. Die MacHeath sind nicht gut auf uns zu sprechen, aber sie sind lange nicht so gefährlich wie der Kranke. Ich habe dir ja schon erzählt, dass andere Clans neidisch auf uns MacDuncans sind, weil wir die Heilige Garde stellen. Die MacHeath sind besonders neidisch.“
„Werden sie euch angreifen?“
„Nein. Duncan, seine Frau Fiona und MacAngus werden mit den MacHeath verhandeln.“
„Was ist ,verhandeln‘?“
„Die drei werden um freies Geleit bitten. Im Gegenzug bieten sie den MacHeath Fleisch und das Jagdrecht in unserem eigenen Revier an.“
„Ist das nicht gefährlich?“
„Wer verhandeln will, steht unter dem Schutz des Gesetzes. Es ist verboten, einen Unterhändler anzugreifen oder zu töten. Daran werden sich hoffentlich auch die MacHeath halten. Außerdem sind sie nicht besonders klug. Sie sind furchtbar abergläubisch und lassen sich leicht beeindrucken. Das macht sie allerdings auch gefährlich.“
Coryn staunte wieder einmal darüber, wie viele Regeln es bei den Wolfsclans gab. Verglichen mit ihnen waren Eulen einfache Gemüter.
„Weißt du noch, was ich dir erzählt habe? Behinderte Welpen aus anderen Clans dürfen sich auch bei der Heiligen Garde bewerben.“
„Ich erinnere mich.“
„Man munkelt, die MacHeath seien so versessen auf diese Ehre, dass sie manchmal sogar gesunde Welpen absichtlich verstümmeln.“
„Wie grausam!“, rief Coryn aus.
„Ja, die MacHeath sind wahrhaftig grausam.“
Ihr Gespräch wurde unterbrochen, weil der Anführer MacDuncan herangetrabt kam. Sofort duckte sich Hamisch, legte die Ohren an und verdrehte die Augen, sodass man das Weiße sah. Damit bezeugte er dem Ranghöheren seinen Respekt. Duncan MacDuncan nahm die Begrüßung mit wohlwollendem Schnauben entgegen. „Ich möchte mit Coryn sprechen“, verkündete er.
„Jawohl, Herr.“ Hamisch duckte sich noch tiefer. Es sah fast so aus, als wollte er im Erdboden verschwinden. Coryn konnte es kaum mit ansehen. Er fand diese „Ehrenbezeugung“ demütigend für seinen Freund.
„Wir sind jetzt im Revier der MacHeath angelangt“, wandte sich der Clanführer an den jungen Eulerich.
„Ja, das hat mir Hamisch schon erklärt.“
„Soso.“ Duncan gönnte Hamisch kaum einen Blick, obwohl Coryn auf dem Rücken des jungen Wolfs saß. Aber Coryn hatte nicht vor, den Platz zu wechseln, beim Glaux! Hamisch war sein bester Freund in den ganzen weiten Hinterlanden.
„Wir werden mit den MacHeath verhandeln. Sie sind schwierige Burschen, aber nach dem Brauch müssen wir sie um Erlaubnis bitten, bevor wir ihr Revier durchqueren. Ich möchte dich bitten, uns zu begleiten.“
„Ich? Wozu das denn?“
„Dass eine Eule Wolf und Bär zum gemeinsamen Mahl zusammenbringen konnte, hat sich herumgesprochen. Alle haben Ehrfurcht vor dir. Das könnte bei der Verhandlung nützlich sein.“
Coryn war überrascht, dass die
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