Die Legende der Wächter – Der Zauber
an.
Die Wächter der Wächter hatten aber nichts mit den Wächtern von Ga’Hoole zu tun, sondern sie wachten über die Glut von Hoole. Nun stimmte Madame Plonk ein neu komponiertes Stück namens „Loblied der Glut“ an.
Oh du geliebte Glut von Hoole,
Über den Großen Baum wache,
In unsren Mägen deine Wärme
Und deine Weisheit entfache.
Tröste uns, schenke uns deinen Segen,
Beschütze uns auf unseren Wegen.
Wir preisen deine Herrlichkeit
Und deine strahlende Magie,
Wir vertrauen auf deine Heiligkeit –
Oh Glut von Hoole, verlass uns nie!
Madame Plonk war bestens bei Stimme. Auch das Lied war eigentlich ganz schön, wenn man von dem albernen Text mal absah, fand Otulissa. Aber wie Madame Plonk aussah! Sie führte sich auf wie der reinste Pfau. Es war jedoch nicht ihr eigenes Gefieder, das sie prahlerisch zur Schau stellte, sondern der Umhang, den sie bei Krämer-Ellie eingetauscht hatte. Der rote Stoff – scharlachrot, die Farbe der Könige, wie die Sängerin bei jeder Gelegenheit erwähnte – war mit weißem Hermelinfell besetzt. „Hermelin ist zum Fressen da, nicht zum Tragen!“, schimpfte Otulissa leise. Ihre Nachbarin wandte den Kopf und funkelte sie böse an.
„Was hast du da eben gesagt?“, zischelte sie.
„Äh … ich habe gesagt: Was würde Ermelina von Tressen wohl dazu sagen?“
„Hä? Ich dachte, es ging darum, dass man Hermeline fressen soll.“
„Da hast du dich verhört“, log Otulissa. „Ist dir Ermelina von Tressen kein Begriff? Sie war eine Sägekäuzin aus den Nordlanden und für ihre Klugheit und unübertroffene Eleganz berühmt. Außerdem war sie eine Verwandte von mir. Eine Cousine dreizehnten Grades.“
„Pssst!“, machte jemand. „Gleich folgt die Höchste Erhebung.“
Höchste Erhebung, bei meinem Bürzel! , dachte Otulissa, aber diesmal hielt sie wohlweislich den Schnabel. Heutzutage war Vorsicht geboten.
Im Großen Baum hatte sich eine seltsame Stimmung breitgemacht. Angefangen hatte es schon, bevor die Bande und Coryn zu ihrem Ausflug aufgebrochen waren. Doch da war Otulissa noch nichts aufgefallen. Das goldene Leuchten, das den Baum umgab, hatte anfangs niemand mit der Glut in Verbindung gebracht. Man sprach eher von einem immerwährenden Sommer. Inzwischen jedoch hieß es, der Baum sei vom Leuchten der Glut durchdrungen.
Die Nesthälterinnen hatten weitere Gilden gegründet. Da gab es den „Chor der Glut“, der ausschließlich Loblieder auf die Glut sang. Eine andere Gruppe aus Nesthälterinnen und Eulen schrieb und textete dieseMusikstücke. Eulen, die sonst ihre Zeit damit verbracht hatten, sich im Umgang mit Kampfkrallen und Eisschwertern zu üben, hatten sich aufs Malen und Dichten verlegt. Und die Jungvögel machten im Unterricht nie dagewesene Fortschritte. Aus Waldbränden gerettete Küken lernten schon Lesen, bevor sie richtig flügge waren. Die junge Sperlingskäuzin Fritzi verschlang Fachbücher über Höhere Magnetkunde, mit denen sich Otulissa abgeplagt hatte, als sie weit älter gewesen war.
Das alles hätte Otulissas Magen eigentlich erfreuen sollen. Schließlich war sie sehr für die Verbreitung von Wissen. Stattdessen machte es ihr Angst. Denn zugleich nahm die Verehrung der Glut immer übertriebenere Formen an. Das neu gewonnene Wissen bedeutete nicht Erleuchtung, so kam es Otulissa vor, sondern wurde vielmehr vom Leuchten der Glut verdunkelt. Das klang widersinnig und Otulissa verstand es selbst nicht. Wie alle Eulen liebte sie die Dunkelheit. Eulen fürchteten sich nicht vor den Nächten, in denen der Mond dahinschwand, bis er nicht mehr zu sehen war. Sie freuten sich auf den Winter mit seinen kurzen Tagen. Doch nun schien es Otulissa, als sei Dunkelheit etwas Gefährliches. Um sich Rat zu holen, vertiefte sie sich in philosophische Schriften über die Bedeutung von Hell und Dunkel in der Geschichte der Eulenheit.
Von ihrem Sitzplatz auf der Empore konnte sie Eglantine sehen. Sorens Schwester beobachtete mit zutiefst beunruhigtem Blick ihre beste Freundin Primel. Primel war aufgefordert worden, bei der Feier ein kleines Gefäß mit Asche von der Glut umherzutragen.
Die Sperlingskäuzin machte ihre Sache ausgezeichnet. Sie flog in einem engen Kreis um die „eingehöhlte“ Glut herum und streute mit der Asche die sogenannte „Flugbahn zur Erhebung“ aus. Otulissa hatte keine Ahnung, wozu das gut sein sollte. Jede Nacht wurde eine neue Zeremonie ins Leben gerufen.
Was soll das? , dachte Otulissa. Was ist hier eigentlich
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