Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Legende unserer Väter - Roman

Titel: Die Legende unserer Väter - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
im Schatten war es drückend. Die Fenster in Beuzabocs Wohnung waren offen, die Läden davor geschlossen. Ein langer Flur mit drei Türen. Ein großer, leerer Raum mit abgenutztem Parkett. Ein großer, schwerer Tisch aus Eichenbrettern, vier Stühle, ein brauner Ledersessel, ein niedriges rundes Tischchen, eine Stehlampe mit granatrotem Schirm.
    »Ist der Tisch für Sie in Ordnung?«, fragte der alte Mann.
    »Perfekt«, sagte ich.
    »Haben Sie genug Licht?«
    »Ja, danke.«
    Tescelin Beuzaboc ging aus dem Zimmer. Ich zog behutsam einen Stuhl heran. Setzte mich, griff in meine Aktentasche und legte mein schwarzes Notizbuch mit dem Gummiband auf den Tisch, ein Spiralheft und zwei Kugelschreiber. Einen roten und einen schwarzen, genau ausgerichtet an der Nut der Bretter. Nahm meine Armbanduhr ab und legte sie rechts neben den schwarzen Stift, wobei ich zweimal ihre Position korrigierte, damit sie genau parallel lag. Das machte ich ganz automatisch. Eine Gewohnheit, eine Manie aus der Kindheit. Ich brauche stets eine beruhigende Geometrie um mich herum. Vor der ersten Frage muss diese Harmonie hergestellt sein. Dann nahm ich einen Stift aus meiner Tasche, schrieb das Datum auf das Heft und umkringelte die Worte »Erste Sitzung« mit dem roten Kugelschreiber. Als der alte Mann wieder hereinkam, beschrieb ich die goldenen Lichtsprenkel an den Fensterläden. Beuzaboc stellte mir eine Flasche Wasser und ein Glas hin und legte eine Zigarette auf das Tischchen. Eine einzelne Zigarette in einer rotweißen Blechdose, das sei er so gewohnt.
    »Wenn es einmal zwei werden, ist das ein schlechtes Zeichen.«
    Er ließ sich in den Sessel fallen, den Stock zwischen den Beinen.
    Dann nichts. Wir sahen einander an. Ich beobachtete Beuzaboc wie ein Maler sein Modell vor dem ersten Pinselstrich. Beuzaboc musterte mich.
    Er fand, dass ich alt aussah in der Dunkelheit des Zimmers. Staubig und unruhig. Das erfuhr ich von Lupuline. Sie hatteihm gesteckt, dass ich immer herbstlich gekleidet sei, auch an diesem stickigen Tag trug ich eine Samthose, ein dunkles Hemd und eine Jacke. Beuzaboc lächelte. Ganz leicht blitzte es zwischen seinen Lippen auf. Als sagte er zu sich: Aha, der da wird also mein Leben aufschreiben. Ich sah nicht aus wie ein Gauner. Eher wie ein verirrter Passant, der sich in dieser Stadt verlaufen hatte, in diese Straße, an diesen Tisch. Beuzaboc bemerkte auch die Uhr und die Stifte. Seine Frau war nachts aufgestanden, um einen Schrank zu schließen. Hatte instinktiv gewusst, wenn eine Nippfigur auf der Kommode auch nur ein wenig verrückt war. Ich trank mein Glas aus. Las mir in dem drückenden Schweigen meine Notizen durch. Schweißperlen standen an meinen Schläfen.
    »Sie können die Jacke ausziehen«, murmelte der alte Mann.
    Ich zog sie aus, faltete sie sorgfältig und legte sie auf den Tisch.
    »Und wie geht es jetzt weiter?«
    »Normalerweise erzählen die Leute. Sie sprechen von sich, und ich helfe ihnen dabei. Ich frage nach, bitte sie um nähere Angaben zu einer Geschichte und ordne ihre Erinnerungen.«
    »Normalerweise?«
    »Ja, das ist meine Methode.«
    »Und wie machen Sie es bei mir?«
    Da gebe es nicht allzu viele Möglichkeiten. Eine Biographie zu schreiben sei eine Begegnung. Ein Austausch. Man stelle mir ein Leben zur Verfügung, und ich gäbe Worte dafür. Das sei keine Freundschaft, aber ein Gefühl zwischen Herzlichkeit und Vertrauen. Es müsse auch etwas passieren. Geheimnisse würden hervorgekramt, die ich zu behalten lernen müsste. Ich sei kein Psychologe oder Beichtvater, sondern stelle einfachmeine frühere journalistische Praxis in den Dienst eines privaten Lebens.
    Der alte Mann zündete sich seine Zigarette an. Er schwieg. Etwas Unangenehmes stand im Raum. Dieses Gift, diesen Blick, diese reglose Erwartung kannte ich gut. Er goss sich Wasser nach. Das Misstrauen war fühlbar. Machte mich mutlos. Ich war mit der Erwartung gekommen, Lupuline hätte gut Wetter gemacht, ihr Vater wäre bereit und nach unserem Treffen in der Brasserie vollends überzeugt. Jetzt musste ich noch einmal alles von vorn erklären. Das Warum und Wozu Wort für Wort wiederholen. Und schon erzählte ich wieder von meinem Beruf und meinen Erwartungen. Versuchte, ihn zu überzeugen. Redete. Allein. Von meiner Kindheit. Von meinem Vater, mit dem es keine Vertraulichkeiten gab. Meiner Mutter, die keinen Beruf hatte. Meinem Bruder, der nicht sehen konnte. Beichtete meine Einsamkeit, meine Unfruchtbarkeit, Aspermie und Scheidung.

Weitere Kostenlose Bücher