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Die Legende unserer Väter - Roman

Titel: Die Legende unserer Väter - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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erinnere ich mich, mehr nicht. Sie wollte die Fortsetzung hören. Ich sollte ihr alles erzählen. Sie sagte, mit einem Fahrrad macht man keinen Krieg. Sie wollte Dynamit, wie im ›Père tranquille‹. Einmal hat sie sogar gesagt, die Geschichte zählt nicht als Widerstand. Also habe ich vom Dynamit erzählt.«
    Beuzaboc stemmte sich mühsam aus dem Sessel, auf seinen Stock und die Sessellehne gestützt, das linke Bein nach vorn gestreckt. Die Stunde war um. Er wirkte müde. Schaute mir beim Einpacken zu.
    »Und Sie, halten Sie diese Geste für einen Akt des Widerstands?«
    Ich hob den Kopf. Die Frage überraschte mich.
    »Sie ist zugleich der Entwurf und das Ergebnis eines solchen Aktes.«
    Beuzaboc richtete sich auf.
    »Ich danke Ihnen«, sagte er.
    Ich wusste diesen Moment zu schätzen, wenn ein Klient zu sprechen anhob. Kostete jede Sekunde davon aus. Noch hatte ich alles vor mir, was es zu hören und zu schreiben galt, aber der erste Schritt war getan. Ein ruhiger Weg lag vor uns. Instinktiv war mir klar, dass Tescelin Beuzaboc ihn weitergehen würde. Wir würden das Buch gemeinsam verfassen. Zwischen dem alten Mann und mir war eine spröde Brücke geschlagen. Ich müsste nur umsichtig vorgehen, respektvoll und elegant.
    Beuzaboc gab mir die Hand, begleitete mich aber nicht zur Tür.
    Ich trat in die Junihitze hinaus. Schloss die Augen und holte tief Luft. Eben noch hatte Krieg geherrscht, Regen und Kälte beim Fahrradfahren. Ich hatte ihn. Den ersten Satz der Biographie. »November. Es war im November, Regen fiel auf uns herab.« Nein, zu feierlich. Die Worte so karg wie möglich setzen. »Es war im November, und es regnete.« An ihnen feilen. »Es regnete. Es war November.« Weiter auslichten. »November, Regen.« Genau. Das wars. Ich blieb an einer Straßenecke stehen. Nahm mein schwarzes Büchlein mit dem Gummiband heraus, schrieb den Satz hinein und unterstrich ihn anschließend. »November, Regen.« Ich war erleichtert. Fast glücklich. Lupuline hatte mich gebeten, sie anzurufen. Morgen. Für den Moment wollte ich nichts anderes im Kopf haben als die Worte ihres Vaters.
    Place Rihour. Ich las den Satz auf dem Denkmal für die Gefallenendes Ersten Weltkriegs: »Den Einwohnern von Lille, Soldaten und Zivilisten, hat die Stadt dieses Denkmal gesetzt, um durch die Jahrhunderte an Heldentum und Leid ihrer Kinder zu erinnern, die für den Frieden ihr Leben gaben.« Ich sah meinen Vater den Jungen aufheben, der auf dem Denkmal gespielt hatte. Fand ihn wieder. Er ging neben mir. Ich hatte die Trompete sinken lassen und hörte ihm zu. Endlich hörte ich, was er sagte. Ich lächelte. Bewegt. Und fühlte Stolz in mir kribbeln.

8
    »Wir hatten unsere Mützen wieder aufgesetzt und gingen zum Tor. Maes als Erster, dann Deloffre, dann ich. Die Frau mit der Gießkanne beobachtete uns noch immer. Ich musste mich einfach noch einmal umdrehen. Unser Strauß auf dem Grab hatte etwas Mutiges. Der Wind zauste die Blumen. Es war November, es regnete. Wir ließen den Friedhof hinter uns, den stillen Weiler, die tote Landschaft. Ich weiß nicht, was meine Kameraden dachten. Sie saßen gekrümmt auf dem Fahrrad, der Wind peitschte uns von vorn ins Gesicht, bog die Mützenschirme nach oben. Aber ich weiß noch, was ich tat. Ich lachte. Militärmärsche gingen mir durch den Kopf und gaben mir mit ihrem Rhythmus den Tritt vor. Ich war zum Mann geworden, zum Soldaten. Ich wusste, dass ich von nun an im Widerstand war. Und ich war im Widerstand.«
    Tescelin Beuzaboc saß in seinem Sessel. Hielt die ersten Seiten in einer Hand. Und fegte mit der anderen über sein Hosenbein wie mit einem Staubwedel. Er las mit gesenktem Kopf und ernster Miene, ohne etwas zu sagen. Ich stand vor ihm. Dann gab er mir die Blätter zurück. Die Luft im Zimmer glühte. Ich ging zum Tisch zurück und warf dem alten Mann einen fragenden Blick zu.
    »Gut«, sagte er.
    »Wie Sie es erzählt haben«, sagte ich.
    »Wenn Sie meinen … Ich finde es gut.«
    »Machen wir weiter?«
    »Ich mache weiter«, antwortete Beuzaboc.

    Unsere dritte Sitzung verwirrte mich. Tescelin Beuzaboc sprach vom Krieg, sagte aber nichts über sich. Das Kinn auf die Hände und die Hände auf den Stock gestützt, plauderte er wie ein alter Mann auf einer Dorfbank. Zu allgemein, zu komprimiert, fast schulmeisterlich. Am Ende eines langen Einschubs sagte er manchmal einen Satz, den ich rot umkringelte. »Hier musste man immer ums Essen kämpfen. Als der Krieg anfing, kämpften wir eben ums

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