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Die Legende unserer Väter - Roman

Titel: Die Legende unserer Väter - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Datum 22. Juli 2003.
    »Erzählen Sie mir von dem britischen Piloten.«
    »In der letzten Sitzung waren wir beim Januar 1941, und jetzt wollen Sie bis 1940 zurück?«
    Ich sah schuldbewusst oder peinlich berührt drein. Errötete wohl sogar.
    »Ich dachte, wir wollen uns an die Chronologie halten?«
    »Ja, das ist meine Arbeitsweise.«
    »Und ein Biograph bringt Ordnung in die Tatsachen, oder?«
    »Selbstverständlich. Aber ich wollte etwas von dem deutschen Soldaten erfahren.«
    »Sie klingen wie ein Richter.«
    »Ich höre Ihnen gern zu.«
    Beuzaboc ließ mich nicht aus den Augen. Beobachtete mich genau. Einen Moment lang meinte ich, Misstrauen in seinen Augen zu lesen, die Anspannung der ersten Minuten. Mit der linken Hand tastete er nach der rotweißen Dose auf dem Tischchen. Öffnete sie. Nahm die Zigarette heraus und zündete sie an. Sog mit geschlossenen Augen langsam den Rauch ein. Als er sich wieder mir zuwandte, war sein Blick besänftigt.
    »Er hieß Albert Osborne, ein M G-Schütze .«
    Ich blätterte in meinem Heft und blickte hoch.
    »Osborne? Wie der englische Artillerist auf dem Friedhof?«
    »Wie wer?«
    »Der Artillerist, der in Annequin begraben ist, der mit dem Blumenstrauß, der hieß auch Albert Osborne.«
    Einen Moment lang wirkte Beuzaboc verdutzt. Er fuhr sich mit der Hand über den Mund, dann lächelte er. Das sei das Alter, sagte er, da bringe man Gesichter und Namen leicht durcheinander. Außerdem sei er durstig. Er entschuldigte sich. Elegant wischte er sich mit einem Taschentuch den Hals.
    »Sie haben eine ganz schöne Geduld«, murmelte der alte Mann.
    »Sie haben ein ganz schönes Gedächtnis«, antwortete ich.
    Er lachte. Dann machte er einen langen Zug aus seinem Wasserglas.
    »Er hieß J. Wellington. So wurde er mir vorgestellt. Aber gleich am ersten Tag, als er mir die Hand gab, bat er mich, Wimpy zu ihm zu sagen, wie alle anderen. Also nannte ich ihn Wimpy. Ich war jung. Erst sehr viel später habe ich begriffen, dass er sich über mich lustig gemacht hat.«
    »Wieso?«
    »Kennen Sie den Mann mit dem Hut, diesen Freund von Popeye, der sich immer mit Hamburgern vollstopft? Der heißt J. Wellington-Wimpy.«
    »Und?«
    »Der abgeschossene Bomber war eine Wellington. Die Flieger nannten das Flugzeug Wimpy, nach dem Freund von Popeye. Mein Pilot hat einfach den Namen seines Flugzeugs angenommen.«
    Auf die rechte Seite schrieb ich »Wimpy«. Mechanisch, ohne allzu großes Interesse, gleichgültig, eine zusätzliche Information. Dann wechselte ich auf die linke Seite, um schnell etwas festzuhalten. Notierte »Unbehagen« und unterstrich es zweimal. Außerdem wollte ich Beuzabocs Blick von vorhin beschreiben, als ich von »überprüfen« geredet hatte. Ich suchte nach einem Namen dafür, einem Ausdruck, einem Genre. »Instinktiv« fiel mir ein, »wie ein gehetztes Tier«, dann noch einmal »Unbehagen«, dann strich ich alles in einem Zug durch.
    »Wann wurde Wimpy abgeschossen?«
    Das wisse er nicht mehr. Im Dezember 1940 vielleicht. Ja, wahrscheinlich. Mitte des Monats. Lupuline hatte den 17. in ihr Kindertagebuch geschrieben, sogar mit Zeitangabe: »Das Flugzeug ist am 17. Dezember 1940 im Morgengrauen abgestürzt.«
    »Wenn ich zu ihr gesagt habe, am 17., dann war es am 17.«, murmelte Beuzaboc.
    Wimpy sei Heckschütze gewesen. Er habe an der Operation
Abigail
teilgenommen, einer »Vergeltungsaktion« für die Luftwaffenangriffe auf London, befohlen vom britischen Kriegskabinett. Ziel der massiven nächtlichen Bombardierung sei »die größtmögliche Zerstörung einer bestimmten deutschen Stadt« gewesen, Mannheim, im Südwesten des Landes. Grauen verbreiten als Antwort auf den Schrecken. Wimpys zweimotorige Maschine wurde während des Gegenschlags durch ein deutsches Jagdgeschwader beschädigt. Mit zerfetztem Rumpf flog sie noch fast vierhundert Kilometer bis Frankreich, bevor sie am frühen Morgen in der Gegend von Lille abstürzte.
    »Wo genau? Können Sie sich daran erinnern?«
    »Bei Seclin, zwischen Gondecourt und Chemy.«
    Fünf der sechs Besatzungsmitglieder starben bei dem Absturz. Wimpy wurde mit Verletzungen an Bein und Kopf in einem Bauernhof bei Hantay aufgenommen. Doch da waren schon zwei britische Flieger, seit Juli. Noch einer ging nicht. Aus Sicherheitsgründen. Wimpy wurde zwei Wochen lang gepflegt und dann nach Bauvin gebracht, in eine Scheune, die als Schuppen diente. Beuzaboc war einundzwanzig und noch nicht wieder zur SNCF zurückgekehrt. Also wurde er dazu

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