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Die Legende unserer Väter - Roman

Titel: Die Legende unserer Väter - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Befehl von Lieutenant Guyot, der den Decknamen André trug. Dann schloss sich mein Vater bis zu seiner Verhaftung am 2. Februar 1944 dem Widerstand in der Pariser Banlieue an.
    »Ich habe keine Jungs aus der
Vengeance
bei uns in der Gegend getroffen«, bemerkte Beuzaboc.
    Da hatte er recht. Lille hatte zwei Kompanien Partisanen, die allerdings mit
Libre Patrie
zusammenhingen,
Vengeance
hatte dort keine Kräfte stationiert.
    Der alte Mann sah mich an. Er wirkte amüsiert.
    »Hat Ihnen Ihr Vater das alles erzählt?«
    Nein, ich hatte ihn befragt, darüber gelesen, seine Geschichte Spur für Spur rekonstruiert. Nach dem Krieg war mein Vater bei ein paar Veteranentreffen der
Corps francs
und auf ein paar Begräbnissen. Aber das war alles. Er fand, dass
Vengeance
ungerechterweise verkannt worden sei. Andere Netze hätten sich Ruhm und Anerkennung auf ihre Kosten erschlichen. »Die Ehrenklauer«, nannte er sie. Seine Gruppe wurde Anfang ’44 enthauptet, die Kader wurden verhaftet, erschossen, deportiert. Nach der Befreiung wurde
Vengeance
nicht auf der Straße bejubelt. Pierre und seine Kameraden waren zu spät aus der Gefangenschaft gekommen, um gefeiert zu werden.
    »Als er zurückkam, waren alle in der Résistance gewesen, nicht wahr?«
    Ich lächelte. So hatte es mein Vater bei seiner Heimkehr aus dem Lager empfunden. Im Schatten des amerikanischen Vormarschs hatte sich die Handvoll Tapferer vervielfacht, undes gab fast so viele Trikolorenarmbinden wie Arme in Frankreich. Ein einziges Mal hatte er das mir gegenüber erwähnt. Kurz, ohne Zorn oder Groll. »Das Menschengeschlecht«, brummte er. Das war alles.
    »Wohin ist er verschleppt worden?«
    »Nach Auschwitz, dann nach Buchenwald.«
    Beuzaboc sah mich schweigend an. Nahm kurz das Spiel mit dem Stock und dem wandernden Lichtstreifen wieder auf.
    »Hat er Ihnen davon erzählt?«
    »Er hat gesagt, dass man das nicht erzählen kann.«
    »Sie haben versucht, es herauszukriegen?«
    »Er gehörte zum
Convoi des tatoués

    Mein Vater hatte diesen Ausdruck ein einziges Mal vor mir benutzt. Ich hatte ihn mir für später notiert. Erst nach seinem Tod erfuhr ich dessen Bedeutung. Der Zug fuhr am 27. April 1944 mit eintausendsiebenhundert politischen Gefangenen von Compiègne los. Bei der Ankunft in Auschwitz-Birkenau vier Tage später waren sechzig davon tot. Andere wurden auf dem Schotter ermordet. Unter ihnen befand sich ein Priester in Soutane. Die Überlebenden berichteten von der Verblüffung der Wärter. Diese Deportierten waren keine Juden. Trotzdem wurde allen eine Nummer in den Unterarm tätowiert, und man stopfte sie für elf Tage in überfüllte Baracken. Am Freitag, dem 12. Mai, wurden sie ohne Erklärung nach Buchenwald, dann nach Flossenbürg gebracht, dann verlor sich die Spur des Transports im Nebel.
    Eines Tages, lange nach dem Krieg, erfuhr mein Vater, dass Robert Desnos in seinem Konvoi gewesen war. Der Dichter hatte nicht mehr die Kraft zur Heimkehr gehabt. Er starbam 8. Juni 1945 an Erschöpfung und Typhus innerhalb des Stacheldrahts eines befreiten Lagers.
    Beuzaboc stand auf, um zur Toilette zu gehen. Er zündete sich seine erste Zigarette an. Sein linkes Bein schien ihm wehzutun. Als er wiederkam, war sein Blick anders, ängstlich. Er hatte sein Gesicht mit Wasser benetzt und das feuchte Tuch auf seiner Stirn erneuert. Er setzte sich wieder. Klemmte den Stock zwischen die Beine und wischte sich mit einem Taschentuch den Nacken.
    »Was wollen Sie über Ascq wissen?«
    Ich zuckte zusammen. Schlug mein Notizbuch auf. Alles, sagte ich. Wer seine Jungs gewesen seien. Die Nacht vom 1. April 1944. Warum sie sich diesen Bahnübergang ausgesucht hätten. Ob ihm klar gewesen sei, dass es sich nicht um einen Güterzug handelte, sondern um einen Zug voller Bestien. Wie er und seine Männer das darauf folgende Massaker erlebt hätten. Ich bat ihn, mir alles zu erzählen. Ohne Hast. Vielleicht würden wir auch zwei, drei Sitzungen dafür brauchen. Der alte Mann zündete sich seine zweite Zigarette an.
    »Ist es das, was Sie wissen wollten?«
    Ja. Und noch etwas. Diese entsetzlichen Bilder müssten doch noch unter seinen Lidern schlummern. Und ihm jede Ruhe rauben. Ich faltete ein Blatt auseinander, das ich aus meinem Notizbuch nahm.
    »Ich werde Ihnen etwas vorlesen.«
    Beuzaboc wirkte überrascht. Er nickte.
    »78 Männer von
Vengeance
wurden im Kampf getötet und 979 verhaftet. Von diesen wurden 21 sofort ermordet oder zu Tode gefoltert, 96 erschossen, 793

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