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Die Legende unserer Väter - Roman

Titel: Die Legende unserer Väter - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Wimpy.«
    Beuzaboc lächelte. Mit ein wenig Glück hätte Wimpy nach Spanien gelangen, nach England zurückkehren und seinen Platz am hinteren Geschützturm seines Flugzeugs einnehmen können. Und wiederkommen, um seine Arbeit in Frankreich zu tun.
    »Wären Sie ihm böse, wenn es so gewesen wäre?«
    Der alte Mann machte eine verblüffte Bewegung. Keineswegs, sagte er. Nicht Wimpy habe getötet, der Krieg sei esgewesen. Im Krieg sei man an einem Tag Wimpy, am nächsten Beuzaboc. Töten oder getötet werden. Das sei alles.
    »Man kann auch wegschauen.«
    »Kann man, ja, aber dann ist man tot.«
    ***
    Zu Hause trank ich ein Bier. Ein kleines hatte ich schon schweigend und blicklos in einer Kneipe gehoben. Doch ich war sehr wach. Alles war verdichtet, die Stadt, die Luft, der zu Ende gehende Tag, alles, was die Handflächen schmierig machte. Seit ein paar Tagen hatte ich das Gefühl, Holzstaub zu atmen. Die Hitze ließ und ließ nicht nach. Tags nicht und nachts nicht. Ich las meine Notizen durch. Das Bombardement von Lomme. Ich unterstrich ein paar Wörter, tippte dann »Todesweh« in meinen Computer. Das war eine schöne Kapitelüberschrift. Dann irrte ich von Satz zu Satz, blätterte in den paar Seiten der letzten Sitzung. Irgendetwas fehlte mir. Das war besser als der Tod des Deutschen, besser sogar als die Wimpy-Geschichte, aber Beuzaboc sprach von Entsetzen, ohne es zu teilen. Benannte die Dinge, aber zeigte sie nicht. Lebte sie nicht. »Er hat das nicht erlebt«, dachte ich wieder einmal, während ich mir das Gesicht mit lauwarmem Wasser besprengte. Ich versuchte zu schreiben. Es ging nicht. Die Fenster standen offen. Zu viel Lärm stieg von der Straße herauf. Der Ventilator auf dem Tisch rührte sinnlos in der Luft.

18
    »Erzählen Sie mir von dem Anschlag in Ascq«, sagte ich zu Beuzaboc.
    »Erzählen Sie von Ihrem Vater«, erwiderte er sanft.
    Ich hatte das erwartet, aber nicht gleich als Erstes an diesem Tag. Es war Dienstag, der 19. August 2003. Wegen der Hitze hatten wir beschlossen, unsere Treffen um eine Stunde zu verschieben. Der alte Mann hatte seine Brille abgenommen und ein feuchtes Tuch auf seine Stirn gelegt. Die Wohnung war dunkler als sonst. Beim Eintreten war mir aufgefallen, dass zwei Zigaretten in dem offenen Etui steckten. Beuzaboc hatte sich gerade ein großes Glas Wasser eingeschenkt. Während des Trinkens sah er mich an. Er fragte nach meinem Vater und trank dann lange, ohne mich aus den Augen zu lassen. Mit seinem Stock klopfte er auf einen Lichtfleck auf dem Parkett.
    »Ihr Vater«, wiederholte er.
    Er hieß Pierre, sagte ich. Und dass er tot sei und mir fehle. Das sagte ich einfach so, mit genau diesen Worten: »Er ist tot, und er fehlt mir.«
    »Lupuline hat erzählt, dass er deportiert worden ist.«
    Ich nickte.
    »Er war in der Résistance, nicht wahr?«
    Ja, er war in der Résistance. Vier Jahre lang nannte sichPierre Frémaux Brumaire, wie Sie sich Beuzaboc. Einer seiner Freunde nannte ihn bis zu seinem Tod so, lange nach dem Krieg. Brumaire steht sogar auf einer Plakette aus schwarzem Marmor auf seinem Grab. Ich fragte ihn einmal, mit elf: Warum Brumaire? Was war das für eine Idee? Wie kommt man von einem Friedensnamen auf einen Kriegsnamen? Wir saßen am Tisch. Er lächelte. Schaute auf meinen Teller. Und sagte, iss, bevor es kalt wird.
    »Ich wusste, wer Sie sind. Als meine Tochter den Namen Frémaux erwähnte, bin ich darauf gekommen. Deshalb war ich einverstanden, mich mit Ihnen zu treffen.«
    »Sie kannten meinen Vater?«
    »Nein. Ich wusste nur das, was an seinem Todestag über ihn in der Zeitung stand.«
    »Aber Sie waren auf seiner Beerdigung.«
    Beuzaboc machte eine verblüffte Geste.
    »Ich war auf seiner Beerdigung, ja. Und Lupuline hat mich begleitet.«
    »Ich weiß. Ich habe Sie gesehen.«
    Der alte Mann nahm wieder seine Zuhörerhaltung ein.
    »Erzählen Sie mir von
Vengeance.
«

    Ich klappte mein schwarzes Notizbuch wieder zu und begann zu sprechen. Beuzaboc hörte mir aufmerksam zu, mit gerunzelter Stirn und starrem Blick.
Turma-Vengeance
war eine der bedeutendsten Untergrundorganisationen Frankreichs, sagte ich, fast dreißigtausend Menschen von Mayenne bis in die Normandie, von Paris bis Quimper, von Nièvre bis Seine-et-Marne. Eine Einheit von
Vengeance
bestand aus zehn Personen, eine Sektion aus zwei Einheiten, fünf Sektionenergaben eine
Compagnie franche
. Mein Vater kämpfte zuerst in einer Angriffssektion des Loiret. Das Département stand unter dem

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