Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen
Lauf nicht weg. Man gewinnt nichts dadurch, daß man wegläuft.« Er verstummte, setzte zum Weiterreden an, besann sich anders und schwieg.
»Ich habe zu viele Stunden versäumt. Ich werde nie ...«
»Du hast nichts versäumt.« Burrich schüttelte den Kopf. Er wandte sich von mir ab, und ich vermochte den Tonfall seiner Stimme nicht zu deuten, als er fortfuhr: »In der Zwischenzeit hat kein Unterricht stattgefunden. Du solltest keine Schwierigkeiten haben, da weiterzumachen, wo du aufgehört hast.«
»Ich will nicht zurückgehen.«
»Verschwende nicht meine Zeit mit sinnlosem Hin und Her«, wies er mich schroff zurecht. »Untersteh dich, meine Geduld auf die Probe zu stellen. Ich habe dir gesagt, was du tun sollst. Tu es.«
Auf einmal war ich wieder fünf Jahre alt, und in einer Küche brachte ein Mann mit einem Blick eine ganze Horde anderer Männer zum Schweigen. Unversehens kam es mir einfacher vor, Galen gegenüberzutreten, als Burrich zu widersprechen. Selbst als er hinzufügte: »Und den Welpen läßt du solange bei mir. Den ganzen Tag im Zimmer eingesperrt, das ist nichts für einen jungen Hund. Sein Fell wird schütter werden, und seine Muskeln entwickeln sich nicht ordentlich. Ich empfehle dir, dich jeden Abend hier einzufinden, um sowohl ihn als auch Rußflocke zu besuchen, oder ich ziehe dir die Ohren lang. Und es schert mich nicht, was Galen dazu zu sagen hat.«
Damit war ich entlassen. Ich unterrichtete Fäustel davon, daß er bei Burrich bleiben sollte, und er akzeptierte es mit einem Gleichmut, der mir einen Stich versetzte. Niedergeschlagen trottete ich mit meinem Salbentopf hinauf zum Palas. Ich nahm mir aus der Küche etwas zu essen mit, weil ich nicht den Mut hatte, mich den vielen Blicken im Speisesaal auszusetzen, und ging hinauf in mein Zimmer. Es war kalt und dunkel, kein Feuer im Kamin, keine Kerzen in den Haltern, und die alten Binsen auf dem Fußboden rochen faulig. Ich holte Kerzen und Holz, machte Feuer, und während ich darauf wartete, daß es die Kälte in den Mauern etwas zurückdrängte, beschäftigte ich mich damit, die Bodenstreu zusammenzufegen. Dann, Laceys Rat folgend, schrubbte ich die Fliesen mit heißem Essigwasser. Irgendwie war ich an den mit Estragon aromatisierten Essig geraten, deshalb roch das ganze Zimmer hinterher nach Estragon. Todmüde warf ich mich auf mein Bett und schlief über dem Gedanken ein, weshalb ich nie herausgefunden hatte, wie man die Geheimtür öffnete, die zu Chades Gemächern führte. Andererseits hätte er mich wahrscheinlich stante pede zurückgeschickt, denn als Mann von Wort würde er sich nicht einmischen, bis Galen mit mir fertig war. Oder ich mit Galen.
Der Narr, der mit einem Kerzenleuchter ins Zimmer kam, weckte mich. Im ersten Moment wußte ich nicht, wo ich war und was sein Auftauchen bedeuten sollte, bis er sagte: »Du hast eben noch Zeit, dich zu waschen und etwas zu essen und trotzdem der erste auf dem Turmdach zu sein.«
Er hatte einen Krug mit warmem Wasser mitgebracht und Brötchen frisch aus dem Ofen.
»Ich gehe nicht.«
Zum ersten Mal sah ich den Narren überrascht. »Warum nicht?«
»Es hat keinen Zweck. Was soll das nützen? Ich habe die Fähigkeit nicht, und ich bin es leid, mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen.«
Die Augen des Narren wurden groß und rund. »Ich war der Meinung, du hättest gute Fortschritte gemacht, bevor ...«
Nun war die Reihe an mir, überrascht zu sein. »Fortschritte? Warum glaubst du, verspottet und schlägt er mich? Als Belohnung für meine guten Leistungen? Nein. Ich war nicht einmal fähig zu begreifen, worauf es ankommt. Sämtliche anderen haben mich überflügelt. Wozu sollte ich zurückgehen? Um Galens Triumph perfekt zu machen?«
»Etwas«, sagte der Narr gedehnt, »stimmt hier nicht.«
Er überlegte einen Moment. »Vor einiger Zeit habe ich dich gebeten, auf die Ausbildung zu verzichten, erinnerst du dich?«
»Manchmal bin ich etwas dickköpfig«, gab ich zu.
»Und wenn ich dich nun bitte, weiterzumachen? Die Zähne zusammenzubeißen und durchzuhalten?«
»Weshalb hast du deine Meinung geändert?«
»Weil das, was ich zu verhindern suchte, eingetreten ist, aber du hast es überlebt. Deshalb versuche ich jetzt ...« Er brach ab. »Es stimmt, was du gesagt hast. Wenn ich nur in Rätseln sprechen kann, warum dann nicht lieber still sein?«
»Wenn ich das gesagt habe, tut es mir leid. Das war häßlich einem Freund gegenüber. Ich erinnere mich nicht mehr daran.«
Der Narr
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