Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen
sonnte sich in der Aufmerksamkeit seiner Verehrerinnen, während sie zwitscherten und mit den Fächern wedelten. »Prinzenhascher«, nannte man sie spöttisch, die hochgeborenen Fräuleins, die sich selbst auf dem Hochzeitsmarkt feilboten, in der Hoffnung, von einem der Prinzen erwählt zu werden. Ihr Benehmen war nicht unschicklich, nun ja, einen Schritt davon entfernt. Auf mich wirkte es verzweifelt, und Edel fand ich grausam, wenn er diese anlächelte und dann die ganze Nacht mit einer anderen tanzte, um nach einem späten Frühstück mit wieder einer anderen durch den Garten zu flanieren. Sie waren Edels Anbeterinnen. Ich versuchte mir vorzustellen, wie sie am Arm von Veritas in den Ballsaal schritt oder still am Webrahmen in seinem Arbeitszimmer saß, während er über den Karten brütete, die er so liebte. Kein müßiges Ergehen zwischen Blumen und Springbrunnen – Veritas' Spaziergänge führten ihn zu den Docks und über die Felder, und oft blieb er stehen, um mit den Seeleuten zu sprechen und mit den Bauern hinter dem Pflug. Zierliche Atlasschuhe und lange bestickte Schleppen würden ihm auf solchen Pfaden nicht dienlich sein.
Molly drückte mir einen Pfennig in die Hand.
»Wofür ist der?«
»Um zu erfahren, was dich so sehr beschäftigt, daß du auf meinem Rock sitzenbleibst, obwohl ich dich zweimal gebeten habe aufzustehen. Ich glaube, du hast mich überhaupt nicht gehört.«
Ich seufzte. »Veritas und Edel sind grundverschieden. Ich kann mir nicht vorstellen, daß einer für den anderen eine Frau aussucht.«
Molly hob fragend die Augenbrauen.
»Edel wird eine Braut aussuchen, die schön ist und reich und von vornehmer Abkunft. Sie wird sich darauf verstehen, zu tanzen und zu singen und zu musizieren. Sie wird sich aufputzen und schon am Frühstückstisch Juwelen im Haar tragen und immer nach den Blumen duften, die in der Regenwildnis wachsen.«
»Und Veritas wird mit einer solchen Braut nicht zufrieden sein?« Molly sah aus, als hätte ich behauptet, das Meer wäre eine große Schüssel voll Suppe.
»Veritas verdient eine Gefährtin, nicht ein Schmuckstück für seinen Ärmel«, erklärte ich geringschätzig. »Ich an seiner Stelle würde mir eine Frau wünschen, die zu etwas Geschick hat, nicht nur dazu, aus ihrer Schmuckschatulle ein Geschmeide auszuwählen oder sich das Haar aufzustecken. Sie müßte ein Hemd nähen können oder im Garten arbeiten oder ganz besondere Fertigkeiten besitzen, wie zum Beispiel Kalligraphie oder Kräuterkunde.«
»Neuer, dergleichen ist nichts für hochgeborene Damen«, spottete Molly. »Sie werden dazu erzogen, hübsch und dekorativ zu sein. Und sie sind reich. Ihnen geziemt es nicht, sich mit gemeinen Arbeiten zu befassen.«
»Aber ja doch. Sieh dir Prinzessin Philia und ihre Zofe Lacey an. Sie sind unablässig mit etwas beschäftigt. Die Gemächer der Prinzessin sind ein wahrer Urwald und ihre Ärmel manchmal klebrig von den Versuchen, Papier herzustellen, oder sie hat Blätter im Haar von der Arbeit mit den Pflanzen, aber sie ist immer noch schön. Und hübsch sein ist gar nicht so wichtig bei einer Frau. Ich habe Lacey zugesehen, wie sie für die Kinder in der Burg aus Bindfaden ein Netz knüpfte. Ihre Finger waren so flink und geschickt wie die eines Fischers unten am Hafen – das war erfreulicher anzusehen als jedes hübsche Gesicht. Und Hod, die Waffenmeisterin? Sie ist eine meisterhafte Silberschmiedin und versieht ihre Stücke mit wunderbaren Gravuren. Zum Geburtstag ihres Vaters hat sie einen Dolch gefertigt mit einem Griff in Gestalt eines springenden Hirsches und doch so kunstvoll gebildet, daß er sich glatt und rund in die Hand schmiegt, keine scharfe Kante oder Spitze, die stören würde. Das ist Schönheit, die noch lange Bestand hat, nachdem ihre Haare grau geworden sind und ihre Wangen faltig. Eines Tages werden ihre Enkelkinder dieses Kunstwerk ansehen und denken, was für eine bemerkenswerte Frau sie gewesen ist.«
»Das meinst du im Ernst?«
»Natürlich.« Mir wurde plötzlich bewußt, wie nahe Molly mir war. Ich rückte zur Seite, jedoch nur ein kleines Stück. Unten im flachen Wasser fegte Fäustel wie ein Irrwisch zwischen die indignierten Möwen. Er japste, die Zunge hing ihm aus dem Maul, doch er hielt nicht einen Augenblick inne, um zu verschnaufen.
»Aber für ein Edelfräulein schickt es sich nicht, rauhe Hände zu haben, und der Wind macht ihre Haare strohig und ihr Gesicht braun. Du willst doch nicht, daß die Gemahlin des
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