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Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen

Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen

Titel: Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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mich nieder und lauschte angespannt auf die Geräusche von Verfolgern. Ich nutzte die erzwungene Rast, um ein paar Schlucke zu trinken und mich zur Ruhe zu zwingen. Die Zeit brannte mir auf den Nägeln, ich mußte zurück nach Bocksburg, aber ich wagte mich nicht hervor, noch nicht.
    Mir kommt es immer noch unglaublich vor, daß ich in meinem unwirtlichen Versteck einschlief, aber ich tat es.
    Ich erwachte wie aus einer tiefen Betäubung und fühlte mich, als hätte ich soeben eine schwere Verwundung oder lange Krankheit überstanden. Meine Augen waren verklebt, meine Zunge pelzig, und im Mund hatte ich einen säuerlichen Geschmack. Mühsam hob ich die bleischweren Lider und schaute mich verwirrt um. Das Tageslicht verblaßte, der Mond war hinter einer dünnen Wolkendecke verborgen.
    Die Erschöpfung hatte mich so vollkommen übermannt, daß ich gegen den Dornenwall gesunken und eingeschlafen war, auf ein Nadelkissen gebettet. Mich zu befreien kostete Geduld und Mühe, ganz zu schweigen von dem Tribut an Stoff und Haut und Haaren. Argwöhnisch wie ein gejagtes Wild verließ ich meinen Zufluchtsort, setzte nicht nur meine besondere Wahrnehmung ein, sondern prüfte auch die Luft und spähte nach allen Seiten. Ich wußte, ich konnte die Entfremdeten nicht spüren, hoffte aber, falls sich welche in der Nähe befanden, daß das aufgescheuchte Wild sie mir verriet. Doch alles war still.
    Vorsichtig trat ich auf die Straße. Sie lag verlassen in der hereinbrechenden Dunkelheit. Nach einem Blick zum Himmel machte ich mich auf den Weg, möglichst im Schatten der Bäume am Straßenrand und bemüht, schnell und leise vorwärtszukommen, aber beides gelang mir nicht zufriedenstellend. Ich hatte längst aufgehört, an etwas anderes zu denken als an Wachsamkeit und an mein Ziel – Bocksburg. Fäustels Leben war nur noch ein schwaches Flämmchen in meinem Bewußtsein. Das einzige Gefühl, das sich noch in mir regte, war die Angst, die mich veranlaßte, immer wieder über die Schulter zu blicken und den Wald links und rechts im Auge zu behalten.
    In tiefer Nacht erreichte ich die Anhöhe über Forge. Ich blieb eine Zeitlang stehen und schaute auf den Ort hinunter, ob sich irgendwo Leben rührte, dann gab ich mir einen Ruck und ging weiter. Der Wind hatte aufgefrischt und ließ ab und zu den Mond zwischen Wolkenfetzen hervorlugen – eine zweifelhafte Gefälligkeit, ebenso trügerisch wie hilfreich. Im unsteten Licht huschten Schatten um die Ecken der verlassenen Häuser, die Reflexe auf der geriffelten Wasseroberfläche der Pfützen auf der Straße blinkten silbern wie gezückte Dolche. Doch Ingot war tot. Kein Schiff im Hafen, kein Rauch aus den Kaminen. Die normalen Einwohner waren bald nach dem verhängnisvollen Überfall weggezogen, und auch die Entfremdeten hatte es offenbar nicht hier gehalten, sobald es nichts mehr zu essen oder zu stehlen gab. Um die von den Piraten angerichteten Zerstörungen hatte sich nie jemand gekümmert, ein langer Winter mit Stürmen und Springfluten hatte das Begonnene fortgesetzt. Nur der Hafen wirkte fast wie immer, bis auf die leeren Anlegestege. Die Molen reckten sich immer noch in die Bucht hinaus wie schützende Hände um die Piers und Docks. Doch es gab nichts mehr zu schützen.
    Ich suchte mir einen Weg durch die Geisterstadt. Jedesmal überlief mich eine Gänsehaut, wenn ich an schiefhängenden, zersplitterten Türen und geschwärzten Fensterhöhlen in halb abgebrannten Gebäuden vorbeischlich. Welche Erleichterung, den modrigen Geruch der leeren Häuser hinter sich zu lassen und vom Hafendamm über das Wasser zu blicken. Die Straße führte bis zu den Verladekais und dann im Bogen um die Bucht herum. Ein Wall aus grob behauenen Steinen schützte vor dem Zugriff der gierigen See, aber der Zahn der Zeit sowie die Unbilden der Witterung hatten bereits ihre Spuren hinterlassen. Aus dem Gefüge lösten sich Steine und Treibholz, die Rammböcke des Meeres im Krieg gegen die Werke von Menschenhand. Vor noch nicht allzu langer Zeit waren mit Eisenbarren beladene Karren diese Straße zu wartenden Schiffen hinuntergerollt. Ich ging langsam auf der Kaimauer entlang und sah, was aus der Ferne so dauerhaft gewirkt hatte, überstand vielleicht noch ein, zwei Winter, bevor das Meer sich sein Territorium zurückeroberte.
    Über mir kamen ab und zu hinter den ziehenden Wolken die Sterne zum Vorschein; auch der Mond zeigte und versteckte sich abwechselnd und tauchte gelegentlich den ganzen Hafen in sein

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