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Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen

Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen

Titel: Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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seinem hölzernen Lehnstuhl. Ich besorgte Kissen, die er einige Tage lang ignorierte, um sie schließlich doch auf dem Stuhl zu verteilen. Das Zimmer blieb kahl, weil ich fühlte, daß er es so brauchte, um seine Konzentration aufrechtzuerhalten. Bei den Dingen, die ich ihm brachte, beschränkte ich mich daher auf die selbstverständlichsten Annehmlichkeiten, keine Gobelins oder Wandteppiche, keine Vasen mit Blumen oder klingelnde Äolsharfen, sondern blühenden Thymian in Keramiktöpfen zur Linderung der Kopfschmerzen, die ihn häufig plagten, und an einem Schlechtwettertag eine Decke gegen die Feuchtigkeit und den Zug vom Fenster her.
    Als ich am selben Tag zum zweiten Mal heraufkam, saß er schlafend in seinem Stuhl, in die Decke gehüllt wie ein Invalide. Ich stellte ihm das Tablett hin, zugedeckt, um die Speisen warm zu halten, setzte mich neben seinem Stuhl auf eins der überzähligen Kissen und lauschte der Stille im Zimmer. Es herrschte eine friedvolle Atmosphäre trotz des heftigen Sommerregens vor dem offenen Fenster und der Böen, die ab und zu hereinfegten. Ich muß eingenickt sein, denn ich erwachte, weil ich seine Hand auf meinem Kopf fühlte.
    »Hat man dich beauftragt, über mich zu wachen, selbst wenn ich schlafe? Was fürchtet man?«
    »Nichts, wovon ich wüßte. Ich habe nur den Auftrag, Euch die Mahlzeiten zu bringen und nach bestem Vermögen dafür zu sorgen, daß Ihr etwas zu Euch nehmt. Weiter nichts.«
    »Und Decken und Kissen und Töpfe mit duftenden Kräutern?«
    »Mein eigener Einfall, Hoheit. Niemand verdient es, nur zwischen Stuhl und Tisch und Bett hausen zu müssen.« Im selben Moment kam mir zu Bewußtsein, daß wir nicht laut miteinander redeten. Ich fuhr kerzengerade empor und starrte ihn an.
    Auch Veritas schien zur Besinnung zu kommen, er rückte auf seinem unbequemen Stuhl hin und her. »Ich segne diesen Sturm, der mir eine Atempause verschafft. Drei von ihren Schiffen habe ich verführt, mitten hineinzusegeln. Jetzt kämpfen sie gegen die hochgehenden Wellen. Kapitäne und Steuerleute spähen durch den Regen, um nicht unversehens an Klippen zu scheitern. Und ich kann mich ruhigen Gewissens für eine Weile dem Schlaf überlassen.« Er rieb sich die Stirn. »Ich bitte dich um Entschuldigung, Junge. In letzter Zeit erscheint mir das ›Denken‹ oft natürlicher als das Sprechen. Ich wollte mich dir nicht aufdrängen.«
    »Ihr braucht Euch nicht zu entschuldigen, mein Prinz. Ich war nur überrascht. Bisher ist es mir kaum jemals gelungen zu ›denken‹, meine Gabe ist nur schwach und unzuverlässig. Ich begreife nicht, wie es möglich ist, daß ich mich Euch geöffnet habe.«
    »Veritas, Junge, nicht dein Prinz. Niemandes Prinz sitzt da in einem verschwitzten Hemd und mit einem zwei Tage alten Bart. Aber was redest du für Unsinn? Man hat doch veranlaßt, daß du in der Gabe unterwiesen wirst. Ich erinnere mich noch gut, wie Philias Mundwerk meinem armen Vater zugesetzt hat.« Er gestattete sich ein mattes Lächeln.
    »Galen hat versucht, mich zu unterweisen, aber ich war ein schlechter Schüler. Es heißt, bei Bastarden ist es oft ...«
    »Warte«, knurrte er und war im Nu in meinem Kopf. »So geht es schneller«, erklärte er und murmelte vor sich hin: »Was ist das für eine Abschirmung? Aha!«, und hatte sich schon wieder zurückgezogen – alles so flink und geschickt, wie Burrich einem Hund eine Zecke vom Ohr pflückte. Er schwieg lange, und auch ich wartete stumm, mit klopfendem Herzen.
    »Ich bin in der Gabe so stark, wie es dein Vater war. Galen nicht.«
    »Wie ist er dann Gabenmeister geworden?« fragte ich. Ob Veritas mir das nur erzählte, um mir über die Schmach meines Versagens hinwegzuhelfen?
    Veritas zögerte, als suchte er nach einem Weg, um ein heikles Thema anzugehen. »Galen war Königin Desiderias ... Günstling. Ein Favorit. Durch ihre Protektion wurde Galen Lehrling bei Solizitas. Oft glaube ich, unsere alte Gabenmeisterin muß verzweifelt gewesen sein, ihn als Nachfolger in Betracht zu ziehen. Solizitas wußte damals, daß sie bald sterben würde. Ich glaube, sie handelte übereilt und bereute später ihre Entscheidung. Meiner Meinung nach war auch seine Ausbildung längst nicht abgeschlossen, als er ›Meister‹ wurde. Aber was nützt es, wir müssen uns mit ihm abfinden.«
    Veritas räusperte sich, er schien nicht recht zu wissen, wie er fortfahren sollte. »Galen bekam dieses Amt als fette Pfründe, nicht, weil er würdig war. Ich bezweifle, daß er je

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