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Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen

Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen

Titel: Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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wirklich begriffen hat, was es heißt, Gabenmeister zu sein. Oh, er weiß, das Amt bedeutet Macht, und er hat keine Hemmungen, sie auszuüben. Aber Solizitas hatte sich nie damit begnügt, auf dem hohen Roß zu sitzen und die Annehmlichkeiten einer hervorragenden Stellung bei Hofe zu genießen. Sie stand Wohlgesinnt als Ratgeberin zur Seite und war Vermittlerin zwischen dem König und allen, die für ihn ›dachten‹. Sie machte sich zur Aufgabe, jeden zu berufen und auszubilden, der wirkliches Talent erkennen ließ, gepaart mit einem verantwortungsvollen Charakter. Diese Kordiale ist die erste, die Galen ausgebildet hat, seit Chivalric und ich Kinder waren. Und ich bin nicht zufrieden. Nein, sie haben die Gabe gelernt, wie Affen und Papageien lernen, Gebärde oder Sprache des Menschen nachzuahmen, ohne zu verstehen, was sie tun. Aber sie sind alles, worauf ich mich stützen kann.« Veritas richtete den Blick aus dem Fenster. »Galen besitzt kein Feingefühl. Er ist ebenso grobschlächtig, wie seine Mutter war, und ebenso anmaßend.« Veritas verstummte, und seine Wangen röteten sich, als hätte er etwas Unüberlegtes gesagt. In ruhigerem Ton fuhr er fort: »Die Gabe ist wie sprechen, Junge. Ich brauche nicht zu schreien, um mich dir verständlich zu machen. Ich kann höflich bitten oder andeuten oder dir mit einem Nicken und einem Lächeln meinen Wunsch übermitteln. Ich kann einen Menschen mittels der Gabe beeinflussen, ohne daß er es merkt und fest glaubt, seiner eigenen Eingebung zu folgen. Doch Feinheiten wie diese entziehen sich Galens Verständnis, sowohl in der Ausübung der Gabe, als auch wenn es darum geht, andere darin auszubilden. Er erzwingt sich den Zugang mit Gewalt. Isolation und Schmerz sind ein Weg, um die Schutzwälle eines Menschen zu durchbrechen, und der einzige Weg, an den Galen glaubt. Solizitas hingegen bediente sich der List. Sie trug mir auf, den Flug eines Milans zu beobachten oder ein Staubkorn, das in einem Sonnenstrahl tanzte, und meine ganze Aufmerksamkeit darauf zu richten, als gäbe es sonst nichts in der Welt. Und plötzlich war sie in meinem Bewußtsein, lächelnd und des Lobes voll. Sie lehrte mich, offen sein hieße, sich nicht zu verschließen. Um in das Bewußtsein eines anderen Menschen einzudringen, gehört in erster Linie die Bereitschaft, aus dem eigenen herauszutreten. Verstehst du, was ich meine?«
    »Zum Teil.« Wie konnte ich zugeben, daß mir der Kopf schwirrte?
    »Zum Teil.« Er seufzte. »Ich könnte dich lehren zu ›denken‹, hätte ich nur die Zeit, die ich nicht habe. Aber sag mir eins – hast du gute Fortschritte gemacht, bevor er dich prüfte?«
    »Nein. Ich hatte nie die Fähigkeit zu – Halt!« Das stimmt nicht. Was sage ich da, was habe ich mir eingeredet? Alles drehte sich plötzlich um mich, Veritas streckte die Hand aus und hielt mich fest.
    »Ich war zu hastig, nehme ich an. Langsam, Junge, langsam. Jemand hat dich blockiert. Dich verwirrt, nicht viel anders, als ich es mit den Navigatoren und Steuerleuten der Roten Korsaren tue. Sie überzeugen, daß sie bereits ein Besteck aufgenommen haben und auf Kurs sind, während ihr Schiff tatsächlich auf gefährliche Untiefen zuhält. Sie überzeugen, daß sie eine bestimmte Landmarke passiert haben, die noch einige Seemeilen voraus liegt. Irgend jemand hat dich überzeugt, daß du nicht ›denken‹ kannst.«
    »Galen.« Für mich gab es nicht den geringsten Zweifel. Ich wußte sogar den genauen Zeitpunkt. Wie ein Tobsüchtiger hatte er an jenem Nachmittag in meinem Bewußtsein gewütet, und seither war nichts mehr gewesen wie zuvor. Die ganzen letzten Monate war ich umhergegangen wie in einem Nebel...
    »Wahrscheinlich. Aber wenn es dir gelungen ist, ihn mit der Gabe zu erreichen, mußt du auch gesehen haben, was mit ihm nicht stimmt. Galen haßte deinen Vater leidenschaftlich, vorher. Bis Chivalric ihn zu seinem Schoßhündchen machte. Wir hatten Gewissensbisse deswegen. Wir hätten es geändert, aber wie, ohne dabei von Solizitas ertappt zu werden? Chiv besaß die Gabe in besonders hohem Maße, und wir waren damals alle noch Kinder. Außerdem hatte Chiv eine mordsmäßige Wut, als er es tat. Wegen einer Gemeinheit, die Galen sich für mich ausgedacht hatte, ironischerweise. Selbst im besten Fall fühlte man sich bei Chivalrics ›Denken‹, als wäre man unter die Hufe einer Pferdeherde geraten. Oder in einen reißenden Fluß gestürzt. Er wurde ungeduldig, platzte herein, warf einem sein Bündel vor

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