Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen
kommen und gehen, Zelte werden errichtet, ein, zwei Monate bewohnt und dann, eines Morgens, sieht man, wo sie gestanden haben, nackte Erde und zerdrücktes Gras, bis eine andere Gruppe kommt und den Platz besetzt. Dennoch herrscht Ordnung, denn die Straßen sind deutlich gekennzeichnet. Wo es steil bergauf geht, hat man Treppen angelegt. In jedem Teil der Stadt gibt es Brunnen, Badehäuser und Dampfbäder, und die Gesetze bezüglich der Reinlichkeit und Abfallbeseitigung sind äußerst streng. Jhaampe ist auch eine grüne Stadt, umgeben von ausgedehntem Weideland für jene, die ihre Herde und Pferde mitführen und es vorziehen, im Schatten der Haine an den Brunnen dort zu wohnen. In der Stadt selbst gibt es Parks, Blumen und Figurenbäume, kunstvoller gestaltet, als ich es in Bocksburg je gesehen hatte. Die Besucher hinterlassen ihre Werke in diesen Gärten, in Gestalt von Steinbildnissen, Holzschnitzereien oder buntbemalten Tonskulpturen. Ich fühlte mich an das Zimmer des Narren erinnert, denn hier wie dort erfüllten Formen und Farben einzig den Zweck, das Auge zu erfreuen.
Unsere Führer hießen uns auf einem Weideplatz außerhalb der Stadt haltmachen und gaben uns zu verstehen, er sei für uns bestimmt. Nach einigem Hin und Her stellte sich heraus, daß man von uns erwartete, Pferde und Maultiere zurückzulassen und zu Fuß weiterzugehen. August, nominell unser Doyen, legte in dieser Situation kein besonders großes diplomatisches Geschick an den Tag. Mir drehte sich der Magen um, als er fast ärgerlich erklärte, wir führten erheblich mehr Gepäck mit, als wir in die Stadt tragen könnten, und daß viele von uns von den Strapazen der Reise zu erschöpft wären, um einen langen Fußmarsch bergauf zu bewältigen. Ich biß mir auf die Unterlippe und zwang mich, äußerlich ruhig die höfliche Verwirrung unserer Gastgeber mit anzusehen. Weshalb hatte Edel, unser Botschafter in Jhaampe, uns nicht vorgewarnt, um zu verhindern, daß wir gleich zu Anfang unseres Besuchs den Eindruck erweckten, ungehobelte Barbaren zu sein?
Doch unsere freundlichen Betreuer stellten sich rasch auf die fremdländische Art ihrer Gäste ein. Sie forderten uns auf, derweil zu rasten und etwas Geduld zu haben. Eine Zeitlang standen wir herum und gaben uns vergeblich Mühe, unbefangen auszusehen. Rowd und Sevrens gesellten sich zu Flink und mir. Flink hatte noch ein paar Schlucke Wein in seinem Schlauch und teilte brüderlich, woraufhin Rowd sich widerstrebend mit einigen Streifen Trockenfleisch revanchierte. Wir unterhielten uns, aber ich muß zugeben, daß ich mit den Gedanken woanders war. Warum hatte ich nicht die Courage, zu August zu gehen und ihn zu bitten, etwas mehr guten Willen zu zeigen. Wir waren hier Gäste, und man hatte sich bereits damit abfinden müssen, daß der Bräutigam es nicht für nötig hielt, persönlich zu erscheinen, um seine Braut zu holen. Statt dessen beobachtete ich aus der Ferne, wie August mit einigen älteren Baronen diskutierte, die zu unserer Delegation gehörten, doch aus ihren Gesten konnte ich schließen, daß sie mit ihm einer Meinung waren.
Wenig später erschien ein Trupp stämmiger Jünglinge und Mädchen auf der Straße über uns. Man hatte Träger zusammengerufen, die helfen sollten, unser Gepäck in die Stadt zu schaffen, und wie herbeigezaubert standen plötzlich bunte Zelte da für alle, die zurückbleiben mußten, um die Pferde und Tragtiere zu versorgen. Zu meinem großen Bedauern gehörte zu ihnen auch Flink, aber wenigstens wußte ich Rußflocke bei ihm in guten Händen. Dann schulterte ich den Zedernkasten und hängte mir den Beutel mit meinen anderen Habseligkeiten über die andere Schulter. Als ich mich mit den anderen auf den Weg in die Stadt machte, roch ich brutzelndes Fleisch und kochendes Gemüse und sah, wie unsere Gastgeber einen offenen Pavillon, mit Tischen und Bänken für die Hungrigen, aufstellten. Mir schien, Flink würde keinen Mangel leiden, und fast wünschte ich mir, auch ich hätte keine anderen Pflichten, als mich um die Tiere zu kümmern und diese leuchtende Stadt zu erkunden.
Sehr bald kam uns auf der bergan führenden Straße ein Zug Sänften entgegen, getragen von hochgewachsenen Chyurda-Frauen. Wir wurden fürsorglich aufgefordert, diese Sänften zu besteigen, gleichzeitig verlieh man dem Bedauern Ausdruck, daß unsere Reise so anstrengend gewesen sei. August, Sevrens, die älteren Barone und die meisten Damen unserer Reisegesellschaft schienen liebend gern
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