Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen
Meerbitter in den Krug. Die getrocknete Pflanzenmasse saugte sich mit Wasser voll und wurde zu einem dicken grünen Klumpen, den ich mühsam herunterwürgte. Ich wußte, es würde meinen Magen und meine Därme leerräumen. Doch war es noch früh genug, oder hatte das Chyurda-Gift sich bereits zu weit in meinem Körper ausgebreitet?
Ich durchlitt gräßliche Stunden, die ich mit Stillschweigen übergehen möchte. Niemand brachte Suppe oder Wein. In lichten Momenten begriff ich, daß sich niemand blicken lassen würde, bis man sicher sein konnte, daß das Werk getan war. Morgen früh, überlegte ich. Ein Diener würde geschickt werden, um mich zu wecken, und meine Leiche finden. Mir blieb eine Frist bis morgen früh.
Ungefähr nach Mitternacht fühlte ich mich wieder in der Lage, auf den Beinen zu stehen. So lautlos, wie ich es in meinem benommenen Zustand zuwege brachte, verließ ich mein Gemach und schlich hinaus in den Garten, wo ich eine volle Zisterne entdeckte und trank, bis ich glaubte zu platzen. Gestärkt ging ich weiter, langsam und vorsichtig, denn ich fühlte mich wie gerädert, und jeden einzelnen Schritt spürte ich bis unter die Schädeldecke. Doch schließlich stolperte ich zwischen lange Reihen Spalierobst, noch nicht abgeerntet, wo ich mir einen Vorrat an Früchten in mein Wams pflückte. Das wollte ich als heimlichen Vorrat in meinem Zimmer verstecken, und sobald es Tag war, mußte ich eine Gelegenheit finden, die Stadt zu verlassen, um Rußflocke einen Besuch abzustatten. In meinen Satteltaschen befand sich noch ein Rest Trockenfleisch und trockenes Brot – hoffentlich genug, daß ich bis zum Ende dieses Besuches davon zehren konnte.
Auf dem Weg zurück in mein Zimmer fragte ich mich, was man tun würde, wenn sich herausstellte, daß das Gift nicht gewirkt hatte.
Kapitel 21
Prinzen
Von dem Kraut der Chyurda, Carryme, heißt es: ›Ein Blatt, um zu schlafen, zwei Blätter, um den Schmerz zu lindern, drei für einen gnädigen Tod.‹
Gegen Morgen döste ich schließlich ein, nur um hochzuschrecken, als Prinz Rurisk die Gattertür zur Seite stieß und mit einer überschwappenden Karaffe in mein Zimmer stürzte. Das lose flatternde Hemd, das er trug, mußte sein Nachtgewand sein. Ich sprang so schnell auf, wie ich konnte, und brachte die Bettstatt zwischen uns. Waffenlos, schwach, ohne Fluchtmöglichkeit, schaute ich ihm entgegen. »Du lebst noch!« rief er staunend aus, dann streckte er mir die Karaffe entgegen. »Schnell, trink das!«
»Lieber nicht.« Ich wich einen Schritt zurück.
Er bemerkte mein Mißtrauen und blieb stehen. »Du hast Gift genommen«, sagte er eindringlich. »Es kommt einem Wunder gleich, daß du noch am Leben bist. Dieser Trank wird es dir aus dem Leib spülen. Vielleicht ist es noch früh genug, um dich zu retten.«
»In mir ist nichts mehr, das man ausspülen könnte«, antwortete ich freimütig und mußte mich am Tisch festhalten, weil meine Beine nachgeben wollten. »Ich habe gleich gemerkt, daß ich vergiftet war.«
»Und du hast nichts zu mir gesagt?« Fassungslos drehte er sich zur Tür herum, wo Kettricken stand und ängstlich ins Zimmer lugte. Ihre Flechten waren halb aufgelöst, ihre Augen vom Weinen rot verquollen. »Das Unheil ist abgewendet, aber nicht durch dein Verdienst«, tadelte er streng. »Geh und bereite ihm eine salzige Brühe aus dem Fleisch von gestern abend. Und bring auch eine süße Pastete mit. Genug für uns beide. Eil dich, törichte Schwester.«
Kettricken raffte ihr Nachthemd zusammen und huschte davon. Rurisk deutete auf das Bett. »Komm. Hab wenigstens soviel Vertrauen, daß du dich hinsetzt. Bevor du mit deinem Zittern den Tisch umwirfst. Ich spreche offen zu dir. Du und ich, FitzChivalric, wir haben keine Zeit, uns argwöhnisch zu belauern. Es gibt vieles zu bereden.«
Ich folgte seiner Aufforderung, weniger, weil ich Zutrauen gefaßt hatte, sondern weil ich fürchtete, mich nicht mehr lange auf den Beinen halten zu können. Rurisk ließ sich ohne weiteres auf der Bettkante nieder. »Meine Schwester«, begann er und schüttelte reuevoll den Kopf, »neigt zur Unbesonnenheit. Der arme Veritas wird feststellen, fürchte ich, daß sie mehr Kind ist als Frau. Zu einem Teil trage ich die Schuld, ich habe sie zu sehr verwöhnt. Doch obwohl das ihre Liebe zu mir erklärt, entschuldigt es nicht ihren Versuch, einen Gast zu vergiften. Erst recht nicht am Vorabend ihrer Vermählung mit seinem Onkel.«
»Ich glaube, ich hätte auch zu
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