Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen
offenbar waren es Relikte aus den verschiedenen Abschnitten ihres Lebens, wenn auch kostbar, und seinerzeit hatten sie bestimmt der neuesten Mode entsprochen. Jetzt aber, als sie, schwer auf meinen Arm gestützt, neben mir her trippelte, schlug mir aus Stoffmassen eine Wolke aus Staub-, Moder- und Parfümgeruch entgegen, mit einer deutlichen Beimischung von Urin. Am Zelteingang entließ sie mich mit der Warnung, sie hätte ein Messer und würde davon Gebrauch machen, falls es mir einfiele, sie in irgendeiner Weise zu belästigen. »Und ich verstehe gut damit umzugehen, junger Mann!« drohte sie.
Für uns gab es das gleiche Bett wie für die Soldaten: den Boden und unsere Umhänge. Wenigstens war die Nacht mild, und wir zündeten ein kleines Feuer an. Flink machte sich lustig über die unkeuschen Gelüste, die der alte Drachen mir unterstellte, und den Dolch, mit dem sie mir ausgetrieben werden sollten. Seine Sticheleien führten zu einem freundschaftlichen Ringkampf, bis Lady Quendels schrille Stimme uns mit Schimpftiraden überschüttete, weil wir sie am Einschlafen hinderten. Anschließend unterhielten wir uns im Flüsterton, und Flink erzählte, daß keiner mich um meinen Posten beneidete. Jeder, der einmal mit ihr auf Reisen gewesen wäre, ginge ihr nachher in weitem Bogen aus dem Weg. Er warnte mich auch, das Schlimmste stünde mir noch bevor, weigerte sich jedoch strikt, mit Lachtränen in den Augen, mir zu verraten, worum es sich handelte. Einzuschlafen bereitete mir keine Mühe, denn nach Jungenart hatte ich meine eigentliche Mission ins Unterbewußtsein verdrängt, bis der Zeitpunkt kam, sich damit zu befassen.
In der Morgendämmerung erwachte ich, begrüßt vom Zwitschern der Vögel und dem infernalischen Gestank eines randvollen Nachtgeschirrs vor Lady Quendels Pavillon. Obwohl ich abgehärtet war, durch jahrelanges Ausmisten von Pferdeställen und Hundezwingern, kostete es mich große Überwindung, den Topf zu entleeren und zu reinigen. Inzwischen beschwerte sie sich keifend, daß ich ihr kein Wasser gebracht hatte, weder heißes noch kaltes, und auch nicht den Haferbrei gekocht, dessen Zutaten vor dem Zelteingang bereitstanden. Flink war verschwunden, um am Lagerfeuer und den Rationen der Soldaten teilzuhaben, und ich mußte sehen, wie ich allein zurechtkam. Bis ich ihr das Frühstück gebracht hatte, das sie als lieblos hergerichtet bemängelte, und damit fertig war, die Teller und Töpfe abzuspülen, trafen alle übrigen bereits Anstalten aufzubrechen. Meine Herrin bestand jedoch darauf, erst umständlich in der Sänfte verstaut zu werden, bevor wir das Zelt abbrechen durften. Wir packten in fieberhafter Eile, und als ich mich schließlich im Sattel wiederfand, hatte ich noch keinen Bissen im Leib.
Mein leerer Magen knurrte laut. Flink warf einen mitleidigen Blick in mein verdrossenes Gesicht und gab mir ein Zeichen, mein Pferd neben das seine zu treiben. Er beugte sich aus dem Sattel zu mir herüber.
»Jeder außer uns weiß über die Bescheid.« Dabei deutete er mit dem Kopf auf Lady Quendels Sänfte. »Der Gestank, den sie jeden Morgen produziert, ist sprichwörtlich. Weißbart sagt, sie pflegte Chivalric auf vielen Reisen zu begleiten ... Scheint's hat sie Verwandte in allen Sechs Provinzen und nicht viel anderes zu tun, als sie der Reihe nach zu besuchen. Sämtliche Männer der Garde haben längst gelernt, ihr nicht unter die Augen zu kommen, sonst werden sie von ihr mit sinnlosen Aufträgen herumgescheucht. Oh, und Weißbart schickt dir das hier. Er läßt ausrichten, solange du den alten Besen am Hals hast, wirst du keine Zeit finden, dich einmal hinzusetzen und in Ruhe zu frühstücken. Doch er wird versuchen, jeden Morgen etwas für dich abzuzweigen.«
Flink gab mir einen Kanten Lagerbrot, aufgeschnitten und belegt mit drei Streifen gebratenem, aber mittlerweile kalt gewordenem Speck. Ein Genuß! Gierig biß ich hinein.
»He, da, kleiner Schlingel!« zeterte Lady Quendel aus ihrer Sänfte. »Was machst du? Schwatzen und dir das Maul zerreißen, kein Zweifel. Komm hierher zurück! Wie willst du deine Pflichten als mein Diener erfüllen, wenn du dich sonstwo herumtreibst?«
Ich zog die Zügel an und lenkte Rußflocke neben die Sänfte. Hastig würgte ich das Stück Brot mit Speck hinunter und fragte undeutlich: »Habt Ihr einen Wunsch, Mylady?«
»Mit vollem Mund reden ist ungehörig«, schnappte sie. »Und hör auf, mich zu behelligen. Dummer Wicht.«
So ging es weiter. Die Straße
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