Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder

Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder

Titel: Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
Vom Netzwerk:
geworden war. Seine Haut war dünn und durchscheinend wie Pergament, seine Finger fleischlose Vogelkrallen. Das Gesicht war mager und schlaff, die Augen tief in die Höhlen gesunken. Er hielt die Hände auf eine Art im Schoß gefaltet, die ich gut kannte. So verschränkte ich die Finger, um das Zittern zu verbergen, das mich auch jetzt noch gelegentlich überkam. Auf einem Tisch neben ihm stand ein Räuchergefäß, in dem Glimmkraut schwelte. Der Qualm hing bereits als wabernder bläulicher Schleier unter den Deckenbalken. Zu Füßen seines Herrn kauerte mit tieftrauriger Miene der Narr.
    »FitzChivalric ist hier, Euer Majestät«, meldete Wallace mich an.
    Der König fuhr zusammen, dann richtete er den Blick auf mich. Ich trat vor ihn.
    »FitzChivalric«, sagte er, wie um Gesicht und Namen in Zusammenhang zu bringen. Es war kein Nachdruck hinter den Worten, kein Wille. Die Bitterkeit blieb, aber sie vermochte das Mitleid nicht auszulöschen, das ich empfand. Er war immer noch mein König.
    »Majestät, ich bin gekommen, wie Ihr befohlen habt.« Ich hielt mich an der Förmlichkeit fest.
    Er betrachtete mich aus trüben Augen, wandte den Kopf zur Seite und hustete. »Ich sehe, ich sehe. Gut.« Sein Blick kehrte zu mir zurück; er atmete tief ein, und die Luft strömte mit einem dürren Rascheln in seine Lunge. »Gestern abend ist ein Kurier von Herzog Brawndy von Bearns eingetroffen. Er brachte den Erntebericht und so weiter, hauptsächlich Nachrichten für Edel. Doch Brawndys Tochter Zelerita schickte diese Schriftrolle. Für dich.«
    Er streckte sie mir hin. Eine kleine Pergamentrolle, mit einem gelben Band zugebunden und versiegelt mit einem Klumpen aus grünem Wachs. Zögernd trat ich vor, um sie an mich zu nehmen.
    »Brawndys Kurier reitet heute nachmittag nach Bearns zurück. Ich bin sicher, du wirst bis dahin eine entsprechende Antwort aufgesetzt haben.« Der Tonfall ließ keinen Zweifel daran, daß dies keine Bitte war, sondern ein Befehl. Er hustete erneut. Der Tumult widerstreitender Empfindungen, die ich für ihn hegte, brodelte in meinem Magen.
    »Mit Eurer Erlaubnis.« Ich erbrach das Siegel, streifte das Band ab und entdeckte, daß es sich um zwei Schriftrollen handelte. Die erste war ein kurzes Schreiben von Zelerita, wie ich beim Überfliegen feststellte; sie hatte eine klare, deutliche Schrift. Anschließend warf ich einen kurzen Blick auf die zweite. Als ich aufschaute, sah ich, daß Listenreich mich beobachtete. Ich setzte eine nichtssagende Miene auf. »Sie schreibt, daß sie hofft, daß es mir gutgeht, und schickt mir das Apographon einer Schriftrolle, die sie in der Bibliothek von Ripplekeep gefunden hat. Oder, genauer gesagt, die Kopie dessen, was noch zu entziffern war. Aus der Umhüllung glaubte sie schließen zu können, daß der Inhalt mit den Uralten zu tun hat, und während meines Besuchs auf der Burg ihres Vaters ist ihr mein Interesse an diesem Thema aufgefallen. Mein erster Eindruck ist, daß es sich bei diesen Schriften um eine philosophische Abhandlung oder aber um Lyrik handelt.«
    Ich gab Listenreich die Schriftrollen zurück, und nach kurzem Zögern nahm er sie. Er entrollte die erste, hielt sie auf Armeslänge von sich und runzelte die Stirn, dann ließ er sie in den Schoß sinken. »Meine Augen wollen oft nicht so recht, so früh am Morgen«, meinte er. Ungeschickt legte er die beiden Pergamentbögen ineinander und rollte sie wieder zusammen. »Du wirst ihr einen angemessenen Dankesbrief schreiben.«
    »Wie Ihr wünscht, Majestät.« Ich hütete mich, durch meinen Tonfall zu verraten, was in mir vorging. Nachdem ich noch etliche Minuten vor ihm gestanden hatte, während er durch mich hindurchsah, hielt ich es für angebracht zu fragen: »Bin ich entlassen, Majestät?«
    »Nein.« Diesmal hustete er länger und heftiger. »Du bist nicht entlassen. Wollte ich dich mir aus den Augen schaffen, hätte ich es bereits vor Jahren getan. Ich hätte dich in irgendeinem Hinterwäldlernest aufwachsen lassen. Oder dafür gesorgt, daß du gar nicht aufwächst. Nein, FitzChivalric, ich habe dich nicht entlassen, nicht aus meiner Huld.«
    Etwas von der früheren Kraft sprach aus seiner Stimme. »Vor Jahren haben wir ein Abkommen getroffen. Du hast deinen Teil gehalten. Und gut gehalten. Ich weiß, wie du mir dienst, auch wenn du es nicht mehr für nötig hältst, mir persönlich Bericht zu erstatten. Ich weiß, daß du mir treu ergeben bist, auch wenn du mir grollst. Ich könnte nicht viel mehr

Weitere Kostenlose Bücher