Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
für dich…« Das letzte Wort war kaum noch zu verstehen, und gleich darauf drangen leise Schnarchgeräusche aus seinem halboffenen Mund. Immer noch stand ich vor ihm und schaute ihn an. Mein König.
Als ich mich schließlich abwenden wollte, erfaßte mich noch größere Verwirrung. Der Narr hockte wie ein Häufchen Elend zu Listenreichs Füßen, die Knie an die Brust gezogen. Er starrte mich zornig an, sein Mund war ein gerader Strich. Tränen standen in seinen hellen Augen.
Ich floh.
In meinem Zimmer ging ich vor dem Kamin auf und ab, bis ich mich einigermaßen beruhigt hatte, dann setzte ich mich und nahm Papier und Feder heraus. Ich verfaßte einen kurzen, förmlichen Dankesbrief an Herzog Brawndys Tochter und versiegelte ihn mit Wachs. Danach stand ich auf, zog mein Hemd glatt, strich mir das Haar zurück und warf die Rolle ins Feuer.
Dann nahm ich einen zweiten Anlauf. Ich schrieb einen Brief an Zelerita, das schüchterne Mädchen, das mir bei Tisch schöne Augen gemacht hatte und mit mir im kalten Wind auf den Klippen stand und auf meinen Gegner in einem Duell wartete, der sich nicht blicken ließ. Ich dankte ihr für das Dokument. Und berichtete ihr von meinem Sommer. Daß ich tagein, tagaus auf der Rurisk am Ruder saß. Von meiner Ungeschicklichkeit mit dem Schwert, die mich zwang, die plumpe Axt als Waffe zu führen. Ich erzählte von meiner ersten Schlacht, in allen blutigen Einzelheiten, und wie elend ich mich danach gefühlt hatte. Ich erzählte ihr, wie ich gelähmt vor Angst auf der Ruderbank sitzengeblieben war, während ein Rotes Schiff uns angriff. (Das weiße Schiff, das ich gesehen hatte, ließ ich unerwähnt.) Ich schloß mit dem Geständnis, daß ich immer noch gelegentlich von krampfartigem Zittern heimgesucht wurde, eine Folge meines langen Krankenlagers in den Bergen. Nachdem ich unterzeichnet hatte, überlas ich das Geschriebene noch einmal. Sie mußte den Eindruck gewinnen, ich wäre ein gewöhnlicher Seemann, ein Gauch, ein Feigling und ständig krank. Zufrieden rollte ich den Brief zusammen und umwickelte ihn mit demselben gelben Band, das sie benutzt hatte. Auf Siegelwachs verzichtete ich, mir war gleichgültig, wer ihn las. Um so besser, wenn erst Herzog Brawndy diesen Brief an seine Tochter öffnete und ihr sodann verbat, jemals wieder meinen Namen zu erwähnen.
Als ich erneut an König Listenreichs Tür klopfte, öffnete Wallace mit seiner gewohnten Miene verbissenen Mißvergnügens. Er nahm die Rolle, als wäre sie mit etwas Unaussprechlichem beschmutzt, und machte mir nachdrücklich die Tür vor der Nase zu. Auf dem Weg zurück in mein Zimmer malte ich mir aus, welche drei Gifte ich ihm verabreichen würde, böte sich mir die Gelegenheit. Es war weniger schmerzlich, als mir Gedanken über meinen König zu machen.
Wieder in meinem Zimmer, warf ich mich aufs Bett. Wäre es doch Nacht, und ich könnte zu Molly gehen. Dann dachte ich an meine Geheimnisse, und selbst diese Vorfreude war mir verdorben. Mit einem Satz sprang ich vom Bett, um die Fensterläden weit aufzustoßen und mich in den tobenden Sturm hinauszulehnen. Doch selbst das Wetter ließ mich im Stich. Der bedeckte Himmel war aufgerissen, wäßriges Sonnenlicht strömte hervor. Schwarze Wolkenmassen, die sich weiter draußen auftürmten, ließen ahnen, daß diese Atmosphäre nicht von langer Dauer sein würde, doch für den Moment hatte es aufgehört zu regnen, und der Wind war eingeschlafen. Sogar eine Ahnung von Wärme lag in der Luft.
Sofort wanderten meine Gedanken zu Nachtauge.
Es ist zu naß, um zu jagen. Außerdem ist es heller Tag. Nur Menschen sind dumm genug, am hellen Tag auf Jagd zu gehen.
Fauler Hund! rügte ich ihn. Ich wußte, er lag zusammengerollt in seiner Mulde, satt und zufrieden.
Heute nacht vielleicht, vertröstete er mich und schlief wieder ein.
Ich überließ ihn seinen Träumen und griff entschlossen nach meinem Umhang. In meiner augenblicklichen Gemütsverfassung erschien mir ein Tag eingesperrt hinter Mauern unerträglich. Ich verließ die Burg und ging nach Burgstadt hinunter. Erbitterung über Listenreichs Versuche, mich zu verkuppeln, kämpfte mit der Bestürzung darüber, wie schwach er geworden war. Ich schritt weit aus, ein Versuch, der Erinnerung an den Kranken zu entfliehen, seinen zitternden Händen, seinem Drogenschlaf. Verfluchter Wallace! Er hatte mir meinen König gestohlen. Und der König mir mein Leben. Ich verbat mir, weiter darüber nachzudenken.
Regentropfen und
Weitere Kostenlose Bücher