Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
der Heimreise, sondern auch während der unglückseligen Vorfälle in Jhaampe. Nun weiß ich nicht recht, wie ich es ihm vergelten soll. Es müßte eine unauffällige Anerkennung sein, eine öffentliche Ehrung kommt in Anbetracht der Umstände nicht in Frage. Hast du einen Vorschlag?«
»Euer Dank wäre alles, was er annehmen würde. Daß Ihr glauben könntet, er brauche mehr, käme für ihn einer Beleidigung gleich. Ich persönlich finde, kein Geschenk wiegt auf, was er getan hat. Eine gute Lösung wäre, ihm zu gestatten, sich von den zweijährigen Fohlen das Beste herauszusuchen, denn sein Pferd wird alt. Eine solche Geste würde er verstehen.« Ich überdachte den Vorschlag noch einmal. »Ja. Das solltest Ihr tun.«
»Sollte ich?« fragte Veritas trocken, aber mit einer unüberhörbaren Schärfe.
Erschrocken wurde ich mir meiner Kühnheit bewußt. »Ich habe mich vergessen, mein Prinz«, sagte ich kleinlaut.
Ein Lächeln trat auf seine Lippen, und er schlug mir gutmütig die Hand auf die Schulter. »Nun, ich habe dich gefragt, oder nicht? Einen Moment lang dachte ich, es wäre Bruderherz Chivalric, der mir vorschreibt, wie ich meine Männer behandeln soll, statt meines halbwüchsigen Neffen. Die Reise nach Jhaampe hat dich verändert, Junge. Nun laß uns aber gehen. Meine Worte über ein warmes Plätzchen und etwas zur Stärkung waren keine leeren Versprechungen. Später wird Kettricken dich begrüßen wollen. Und Philia wartet auf dich, könnte ich mir denken.«
Mir sank der Mut, angesichts der Pflichten, die er vor mir aufhäufte, während es mich mit allen Fasern nach Burgstadt zog. Aber dies war mein König-zur-Rechten. Ich beugte mich seinem Willen.
Auf dem Weg die Treppe hinunter sprachen wir über Belanglosigkeiten. Er meinte, ich sollte mich von Mistress Hurtig neu einkleiden lassen, ich fragte nach Leon, dem Wolfshund. Im Flur hielt er einen Pagen an und trug ihm auf, Wein und Pasteten in sein Arbeitszimmer zu bringen. Wie sich herausstellte, meinte er damit nicht eines seiner Gemächer, sondern einen Raum im Erdgeschoß, der mich gleichzeitig fremd und vertraut anmutete. Soweit ich mich erinnern konnte, hatte Fedwren, der Schreiber, ihn benutzt, um Kräuter und Muscheln und Wurzeln für seine Tinten zu ordnen und zu trocknen. Davon war keine Spur geblieben. In dem kleinen Kamin brannte ein Feuer, das Veritas schürte, während ich mich umschaute. Die Einrichtung bestand aus einem großen, geschnitzten Eichentisch mit zwei unterschiedlichen Stühlen, einem Gestell für Schriftrollen sowie einem zernarbten Regal mit allerlei Krimskrams. Auf dem Tisch ausgebreitet, mit einem Dolch und drei Steinen beschwert, lag eine angefangene Karte der Chalced-Staaten. Fliegende Pergamentfetzen waren mit Veritas’ Handschrift bedeckt oder mit ersten Skizzen und hingekritzelten Anmerkungen. Das auf den zwei kleineren Tischen und etlichen Hockern sich türmende Sammelsurium kam mir bekannt vor, und bei genauerem Hinsehen erkannte ich darin diejenigen von Veritas’ Besitztümern, die früher in seinem Schlafgemach verstreut gewesen waren. Veritas erhob sich und lächelte reuevoll, als er meine hochgezogenen Augenbrauen bemerkte. »Meine Königin-zur-Rechten liebt keine Unordnung. ›Wie‹, fragte sie mich, ›kannst du hoffen, inmitten dieses Durcheinanders gerade Linien zu ziehen?‹ In ihrem eigenen Zimmer herrscht die strikte Präzision eines Militärlagers. Deshalb verstecke ich mich hier unten, denn ich habe schnell herausgefunden, daß ich in einer aufgeräumten Umgebung nichts zustandebringe. Außerdem ist es ein guter Ort für ruhige Gespräche, wo mich nicht jeder sucht.« Er hatte kaum ausgesprochen, als die Tür aufging und Charim mit einem Tablett hereinkam. Ich begrüßte Veritas’ Leibdiener mit einem Kopfnicken. Nicht nur schien er keineswegs erstaunt zu sein, mich zu sehen, sondern hatte Veritas’ Bestellung um eine bestimmte Sorte Früchtebrot ergänzt, das ich besonders gerne aß. Er hielt sich nicht lange auf, räumte einen Stapel Bücher und Schriftrollen von einem Stuhl, den er mir hinschob, und ging wieder. Veritas war so an ihn gewöhnt, daß er kaum Notiz von ihm nahm, bis auf das kurze Lächeln, das sie tauschten, bevor Charim das Zimmer verließ.
»Also«, sagte er, sobald die Tür sich geschlossen hatte, »nun möchte ich ins Bild gesetzt werden, und zwar von Anfang an.« Von Chade war ich dazu geschult worden, ebenso Spion wie Meuchelmörder zu sein, und von klein auf hatte Burrich
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