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Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder

Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder

Titel: Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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›goldgewordene Rache‹ und ›Zorn, gekleidet in Fleisch aus Stein‹, um die Piraten von unserer Küste zu vertreiben. Das vollbracht, berichtet die Legende, sollen sie König Weise versprochen haben, wann immer die Sechs Provinzen ihrer bedürften, würden sie uns zur Hilfe eilen. Man kann Vermutungen anstellen, daß sie es oft getan haben, die Unzahl der Legenden, die sich um dieses Bündnis ranken, sind Beweis dafür. Doch was König Weises Schreiber über dieses Ereignis zu berichten wußte, ist unwiederbringlich dahin, dem Schimmel und den Würmern zum Opfer gefallen.
     
    Das einzige Fenster in meinem Gemach blickte auf das Meer hinaus. Im Winter hielt ein hölzerner Laden die Unbilden des Wetters ab, und ein darüber gehängter Wandteppich verlieh dem Zimmer einen Anschein von Behaglichkeit. Infolge dieser Umstände erwachte ich in tiefer Finsternis und brauchte eine Weile, um mich zu besinnen. Nach und nach drangen die Geräusche erwachenden Lebens zu mir herein – frühmorgendliche Geschäftigkeit. Ich war zu Hause, in Bocksburg und – »Molly!« sagte ich laut in das dunkle Zimmer hinein. Noch immer fühlte ich mich zerschlagen, doch von neuem Unternehmungsgeist erfüllt. Ich stieg aus dem Bett, tappte durch die Kälte zu dem lange nicht benutzten Kamin und brachte ein kleines Feuer in Gang. Der Holzvorrat mußte aufgestockt werden. Im zuckenden Flammenschein suchte ich frische Kleider aus der Truhe am Fußende des Bettes, aber nichts paßte. Das lange Siechtum hatte mir das Fleisch von den Knochen gezehrt, doch irgendwie war ich trotz allem ein Stück gewachsen, was sich besonders an Armen und Beinen bemerkbar machte. Notgedrungen griff ich nach dem Hemd von gestern, aber die Nacht in einem sauberen Bett hatte meine Nase geschärft, und der Geruch des lange getragenen Kleidungsstücks ging mir gegen den Strich. Ich unternahm eine zweite Grabung und förderte diesmal ein weiches braunes Hemd zutage, dessen Ärmel mir früher zu lang gewesen waren. Jetzt saß es wie angegossen. Prinzessin Philia oder Mistress Hurtig, sollte ich ihnen über den Weg laufen, würden sich resolut der Kleiderfrage annehmen, doch nicht, so hoffte ich, vor dem Frühstück und einem Ausflug nach Burgstadt. Es gab etliche Stellen, an denen ich möglicherweise etwas über Molly erfahren konnte.
    Noch schliefen die meisten Bewohner der Burg. Ich frühstückte in der Küche wie früher und stellte wieder einmal fest, daß dort das Brot am frischesten und die Hafergrütze köstlich süß war. Die Köchin schlug bei meinem Anblick die Hände über dem Kopf zusammen: »Nein, wie du gewachsen bist!« und im selben Atemzug: »Nein, was bist du mager und blaß!« Ich war sicher, diese und ähnliche Kommentare würde ich im Lauf des Tages bis zum Überdruß zu hören bekommen. Die zunehmende Betriebsamkeit in der Küche schlug mich bald in die Flucht. In der Hand ein dickes Butterbrot mit Hagebuttenmarmelade, machte ich mich auf den Weg zurück in mein Zimmer, um mir einen Winterumhang zu holen.
    Je mehr Räume ich durchwanderte, desto augenfälliger wurden die Hinweise auf Kettrickens Einfluß. Eine Art Gobelin, gewebt aus verschiedenfarbigen Gräsern und eine Berglandschaft darstellend, schmückte eine Wand der Kleinen Halle. Zu dieser Jahreszeit gab es keine Blumen, doch hier und da entdeckte ich bauchige Tontöpfe voller Kieselsteine als Behälter für Gestecke aus kahlen, aber anmutigen Zweigen oder getrockneten Disteln und Rohrkolben. Die Veränderungen waren subtil, doch unübersehbar.
    Unversehens fand ich mich in einem älteren Teil der Burg wieder und stieg die wenig benutzte Treppe zu Veritas’ Turmgemach hinauf. Hinter den hohen Fenstern hielt Veritas im Sommer Ausschau nach feindlichen Schiffen, und von dort wirkte er die Zauber, die die Roten Korsaren von unseren Küsten fernhielten oder uns wenigstens von ihrem Kommen warnten. Zu Zeiten war es eine ungenügende Verteidigung. Er hätte eine Kordiale – in der Gabe geschulte Helfer – haben müssen, die ihn unterstützte. Ich selbst, trotz meines Bastardblutes, hatte nie gelernt, meine unzuverlässigen Kräfte willkürlich einzusetzen. Galen, unser Gabenmeister, war zu Tode gekommen, bevor er Gelegenheit gehabt hatte, mehr als eine Handvoll Kundiger auszubilden. Es gab keinen Nachfolger für ihn, und zwischen den Angehörigen der von ihm geschaffenen Kordiale und Veritas existierte nicht das für eine erfolgreiche Zusammenarbeit erforderliche enge Band. Deshalb stand

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