Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
durchflutete. Ich hatte körperliche Mißhandlungen gefürchtet, jetzt lief mir der Angstschweiß über das Gesicht und an den Seiten herunter, wenn ich überlegte, was Will mir antun konnte, wenn es ihm gelang, sich meines Verstandes zu bemächtigen. Hatte er sich erst in meinem Kopf eingenistet, war es ihm ein Leichtes, mich zu lenken wie eine Marionette, so daß ich vor die versammelten Herzöge hintrat und mich schuldig des Mordes an König Listenreich bekannte. Edel hatte sich für mich etwas Schlimmeres als den Tod ausgedacht. Beschämt und gedemütigt sollte ich zu meiner Hinrichtung gehen, nach eigenem Geständnis ein feiger Mörder und ein Hochverräter. Will konnte mich dazu bringen, in aller Öffentlichkeit vor Edel zu kriechen und um Gnade zu flehen.
Ich glaube, die Zeit, die verging, war eine Nacht. Schlafen konnte ich nicht; wenn ich einnickte, ließen Träume von Augen an meinem Fenster mich verstört hochfahren. Ich wagte auch nicht, zu Nachtauge zu flüchten, und hoffte, daß er nicht versuchte, mich mit Gedanken zu erreichen.
Das Geräusch von Schritten im Gang riß mich aus einem unruhigen Dahindämmern. Meine Augen brannten, mein Kopf schmerzte von der unablässigen Konzentration, und meine Muskeln waren steif vor Anspannung. Ich blieb auf der Bank liegen, um nicht ein Jota kostbarer Kraft zu vergeuden.
Die Tür flog auf. Ein Soldat steckte die Fackel in die Zelle und trat dann wachsam ein. Zwei andere folgten ihm. »Du da! Hoch mit dir!« bellte der Fackelträger. Sein Akzent klang nach Farrow.
Was hätte es für einen Zweck gehabt, mich ihnen zu widersetzen? Ich stand auf und ließ Brawndys Umhang von meinen Schultern auf die Bank gleiten. Auf einen Wink des Anführers nahmen die zwei Soldaten mich in die Mitte, und wir traten auf den Gang hinaus, wo noch vier Männer standen. Edel ging kein Risiko ein. Es war niemand dabei, den ich kannte. Alle trugen die Farben von Edels Leibgarde. Man konnte ihnen an den Gesichtern ablesen, wie ihre Befehle lauteten, und ich hütete mich, ihnen einen Vorwand zu liefern. Sie führten mich ein kurzes Stück den Gang hinunter, vorbei an der unbesetzten Nische der Gefangenenwärter in einen größeren Raum, der früher als Wachstube gedient hatte. Die Einrichtung war entfernt worden, bis auf einen bequemen Lehnstuhl. In jedem der Wandhalter brannte eine Fackel, und die Helligkeit schmerzte meine lichtentwöhnten Augen. Meine Begleiter ließen mich in der Mitte des Raums stehen und gesellten sich zu ihren Kameraden, die an den Wänden aufgereiht standen. Die Macht der Gewohnheit veranlaßte mich, meine Situation abzuschätzen und die Möglichkeiten, die sie mir bot. Ich zählte vierzehn Bewacher. Reichlich übertrieben, sogar für mich. Zwei Türen, beide geschlossen. Wir warteten.
Warten zu müssen, stehend, in einem hell erleuchteten Raum, in einer Atmosphäre der Feindseligkeit, ist eine nicht zu unterschätzende Methode, den Delinquenten auf die anschließende hochnotpeinliche Befragung einzustimmen. Ich bemühte mich, stillzustehen und möglichst unauffällig das Gewicht von einem Fuß auf den anderen zu verlagern, aber ich ermüdete rasch. Wie schnell Hunger und Untätigkeit vermocht hatten, mich zu schwächen! Ich empfand beinahe Erleichterung, als die Tür endlich aufging und Edel eintrat, gefolgt von Will. Will redete halblaut auf ihn ein.
»Unnötig. Eine weitere Nacht, höchstens zwei, mehr hätte ich nicht gebraucht.«
»Ich ziehe dies hier vor«, antwortete Edel kalt.
Will neigte in wortloser Zustimmung den Kopf; als Edel sich hinsetzte, postierte er sich hinter seiner linken Schulter. Nachdem Edel mich eine Weile gemustert hatte, lehnte er sich zurück, neigte den Kopf zur Seite und stieß den Atem durch die Nase. Er hob einen Finger und deutete auf einen Mann. »Kujon. Du. Ich wünsche keine gebrochenen Knochen. Wenn wir bekommen haben, was wir wollen, soll er für seinen letzten Auftritt wieder präsentabel aussehen. Du verstehst, was ich meine?«
Kujon nickte kurz. Er nahm seinen Winterumhang ab. Dann zog er auch sein Hemd aus. Die anderen Männer sahen mit unbewegter Miene zu. Aus einem lange zurückliegenden Gespräch mit Chade fiel mir ein Rat ein: »Du kannst unter der Folter länger standhaft bleiben, wenn du dich auf das konzentrierst, was du sagen willst, statt auf das, was nicht. Ich habe von Männern gehört, die immer und immer wieder denselben Satz wiederholten, bis weit über den Punkt hinaus, wo sie noch fähig waren, die
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