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Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder

Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder

Titel: Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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merkte ich, daß sie überhaupt verging. Die Fackel, die Edel zurückgelassen hatte, brannte aus. Wachablösung. Jemand kam und schob Brot und Wasser durch die Klappe an meiner Tür. Unverlangt. Hieß das, es war schon sehr lange her, seit ich zum letztenmal etwas gegessen hatte? Erneute Wachablösung. Die neuen waren ein redseliges Paar, Mann und Frau. Aber sie sprachen mit gedämpfter Stimme, ich hörte nur das Murmeln und das Lachen. Anscheinend ein schlüpfriges kleines Geplänkel zwischen den beiden. Unterbrochen, weil jemand kam.
    Statt des Liebesgeflüsters ein dienstlicher Tonfall und ausgesprochen respektvoll. Mein Magen krampfte sich zusammen. Leise trat ich an die Tür und spähte zwischen den Gitterstäben hindurch den Gang hinunter.
    Er näherte sich wie ein Schatten, fast lautlos. Nicht verstohlen. Er war so unauffällig, daß er sich nicht um Unauffälligkeit bemühen mußte. Dies war die Gabe in einer Form, wie ich sie nie zuvor erfahren hatte. Ich fühlte, wie sich mir im Nacken die Haare aufrichteten, als Will vor der Tür stehenblieb und in meine Zelle schaute. Er sprach, ich wagte es nicht. Ihn anzusehen barg schon Gefahr, doch ich durfte nicht den Blick abwenden. Die Gabe umgab ihn wie eine schimmernde Aura der Bewußtheit. Ich machte mich klein in mir, zog alles zurück, was ich fühlte oder dachte, und errichtete in Windeseile meine Barrieren, obwohl ich wußte, selbst diese Mauern gaben ihm Aufschlüsse über mich, halfen ihm, mich zu lesen. Mein Mund und meine Kehle waren vor Angst trocken. Wo war er gewesen? Was war Edel so überaus wichtig, daß er Will darauf ansetzte, statt sich hier von ihm den Weg zum Thron ebnen zu lassen?
    Das Weiße Schiff.
    Die Antwort tauchte aus den tiefsten Tiefen meines Bewußtseins auf, Ergebnis eines Gedankengangs, den ich nicht nachzuvollziehen vermochte. Doch ich zweifelte nicht an ihrer Richtigkeit. Ich sah ihn an, dachte ihn mir in Verbindung mit dem Weißen Schiff. Er runzelte die Stirn. Ich fühlte ein Ansteigen der Spannung zwischen uns, den Druck der Gabe gegen meine Abschirmung. Er scharrte und zupfte nicht an mir, wie Justin und Serene es getan hatten, wir glichen eher zwei Fechtern, die mit gekreuzten Klingen gegenseitig ihre Stärke messen. Ich stemmte mich gegen ihn, wohl wissend, wenn ich wankte, wenn ich für einen Augenblick nachgab, würde er durch meine Barrieren schlüpfen und meine Seele durchbohren. Seine Augen weiteten sich und überraschten mich mit einem kurzen Flackern der Unsicherheit, aber dem ließ er ein Lächeln folgen, so einladend wie das Grinsen eines Haifischs.
    »Ah«, seufzte er, offenbar angenehm berührt. Er trat von der Tür zurück und streckte sich wie eine schläfrige Raubkatze. »Man hat dich unterschätzt, der Fehler wird mir nicht unterlaufen. Ich weiß, wie sehr es von Vorteil ist, wenn dein Gegner glaubt, du wärst ihm nicht gewachsen.« Dann entfernte er sich, weder abrupt noch langsam, sondern wie Rauch vor einem leichten Wind davontreibt.
    Mit weichen Knien kehrte ich zu meiner Bank zurück und sank darauf nieder. Ich holte tief Atem und ließ ihn langsam ausströmen, um das Zittern in mir zu beruhigen. Es kam mir vor, als wäre ich einer Prüfung unterzogen worden, und für dieses Mal hatte ich sie bestanden. Ich lehnte den Rücken gegen die kalte Mauer und warf einen Blick zur Tür.
    Wills halbgeschlossene Augen schauten mich an.
    Ich schnellte so vehement in die Höhe, daß der Schnitt an meinem Oberschenkel aufplatzte. Ich starrte auf die vergitterte Öffnung. Nichts. Er war fort. Das Herz schlug mir bis zum Hals. Es kostete mich ungeheure Überwindung, die wenigen Schritte bis zur Tür zu gehen und in den Gang hinauszuspähen. Niemand zu sehen. Er war tatsächlich fort, doch etwas in mir wollte es nicht glauben.
    Ich humpelte zur Bank, setzte mich wieder und zog mir Brawndys Mantel um die Schultern. Das vergitterte Fensterchen zog meine Blicke magisch an. Ich wartete auf eine Bewegung, auf eine Veränderung im schwachen Widerschein der Fackel, auf irgendein Anzeichen dafür, daß Will noch vor meiner Tür lauerte. Die Spannung wurde unerträglich. Ich sehnte mich danach hinauszuspüren, mit der Macht und der Gabe, um draußen nach ihm zu suchen. Nein! Wo ich hinausging, konnte er herein.
    Ich zog die Schutzwehren um meine Gedanken, und schon ein paar Minuten darauf überprüfte ich sie wieder. Je verbissener ich mich bemühte, Ruhe zu bewahren, desto größer wurde die Panik, die mich in Wellen

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