Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
Fragen zu begreifen. Wenn du alle Gedanken darauf richtest, was du gefahrlos sagen kannst, wird dir nicht so leicht entschlüpfen, was du verschweigen möchtest.«
Aber dieser theoretische Rat nützte mir unter Umständen nicht viel. Edel schien kein Interesse daran zu haben, mir Fragen zu stellen.
Kujon war schwerer als ich, größer als ich, und er sah aus, als bestünde seine tägliche Verpflegung aus etwas mehr als trocken Brot und Wasser. Er lockerte seine Muskeln und streckte sich, als ginge es darum, beim Winterfest die Kampfbörse einzuheimsen. Ich beobachtete ihn. Er fing meinen Blick auf und lächelte ohne Lippen, dann zog er mit professioneller Sorgfalt ein paar fingerlose Lederhandschuhe über. Allzeit bereit. Schließlich verbeugte er sich vor Edel, und Edel nickte.
Was soll das?
Sei still! befahl ich Nachtauge. Doch als Kujon zielstrebig auf mich zutrat, fühlte ich, wie meine Oberlippe sich drohend kräuselte. Ich wich seinem ersten Schwinger aus, trat vor, um selbst einen Schlag anzubringen, und tänzelte zurück, als er wieder ausholte. Der Mut der Verzweiflung verlieh mir Flügel. Ich hatte nicht erwartet, daß ich Gelegenheit haben würde, mich zu verteidigen, sondern daß Edel das Schauspiel genießen wollte, wie man mich sachverständig die ausgeklügelte Stufenleiter der Foltergrade hinauf- und hinuntergeleitete. Aber natürlich war dafür immer noch Zeit genug. Nicht daran denken. Faustkämpfe waren nie meine starke Seite gewesen. Auch daran lieber nicht denken. Kujons Faust streifte brennend meine Wange. Sei auf der Hut. Ich bot ihm eine Öffnung an, um ihn aus der Reserve zu locken und Maß zu nehmen, als die Gabe mich traf. Wills Angriff ließ mich taumeln, und Kujon brachte seine nächsten drei Schläge mühelos ins Ziel. Kinn, Brust und Wangenknochen, schnell und präzise. Der Stil eines Mannes, der viel Übung hatte. Das Lächeln eines Mannes, der seine Arbeit liebte.
Zeit verlor jede Bedeutung für mich. Ich konnte mich nicht gegen Will abschirmen und mich gleichzeitig gegen Kujons Schläge decken. Ich überlegte – wenn man in einer solchen Lage von Überlegen sprechen kann -, daß mein Körper seine eigenen Hilfsmittel gegen ihm zugefügte Schmerzen besaß. Ich würde die Besinnung verlieren oder sterben. Sterben war vielleicht der einzige Sieg, auf den ich hier hoffen konnte. Deshalb entschloß ich mich dafür, lieber meinen Verstand zu schützen als meinen Körper. Es fällt mir schwer, mich an diese Züchtigung zu erinnern. Meine Strategie bestand darin, in Bewegung zu bleiben, auszuweichen und abzublocken, solange es mich nicht daran hinderte, auf Will zu achten. Ich hörte, wie die Soldaten johlend über meinen scheinbaren Mangel an Kampfgeist höhnten, weil ich Kujon mehr oder weniger als Sandsack diente. Als ich nach seiner Geraden rückwärts gegen die Männer taumelte, die uns umstanden, schoben und stießen sie mich ihm wieder in die Arme.
Ich konnte keinen Gedanken für die Planung taktischer Manöver verwenden. Wenn ich zuschlug, dann auf gut Glück, und die wenigen Male, die meine Faust traf, geschah es mit viel zu wenig Nachdruck. Liebend gerne hätte ich alle Vorsicht über Bord geworfen, meiner Wut die Zügel schießen lassen und mich auf Kujon gestürzt, um blindlings auf ihn einzuschlagen, aber damit hätte ich mich Will ausgeliefert. Nein. Ich mußte mich beherrschen und einstecken. Je mehr Will seinen Druck verstärkte, desto leichteres Spiel hatte Kujon mit mir. Schließlich hatte ich nur noch die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten: Ich konnte entweder meinen Kopf schützen oder meinen Leib. Meinem Gegner kam es nicht darauf an. Er war gerne bereit, sich in dieser Beziehung nach meinen Wünschen zu richten. Das Furchtbare war, ich wußte, daß der Mann sich zurückhielt und mit abgezirkelten Schlägen das Ziel verfolgte, Schmerz zuzufügen, ohne unnötig großen Schaden zu verursachen. Einmal ließ ich die Deckung sinken und schaute Will an, ich weiß, was du tust. Ich hatte die sehr kurze Genugtuung zu sehen, daß ihm Schweiß über das Gesicht strömte. Dann hatte Kujons Faust einen heftigen Zusammenstoß mit meiner Nase.
Blade hatte mir einmal das Geräusch beschrieben, das er hörte, als bei einer Rauferei sein Nasenbein zerknickte, aber Worte wurden dem nicht gerecht. Ein malmendes Knirschen, begleitet von einem gleißenden Schmerz, der alle anderen Schmerzen auslöschte. Ich verlor die Besinnung.
Wahrscheinlich nicht für lange. Irgendwann merkte ich,
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