Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
als ich mein Bewußtsein von seinem löste und in meinen eigenen Körper zurückkehrte.
Es tut sehr gut, pflichtete ich ihm bei. Und ich erhob mich, um dem anbrechenden Tag die Stirn zu bieten.
Kapitel 26
Wegweiser
Eine Sache habe ich auf meinen Reisen gelernt: Was in einem Land als wertvoll gilt, ist in einem anderen alltäglich. Fisch, den wir in Bocksburg nicht einmal der Katze geben würden, gilt in den Städten des Inlands als Delikatesse. In trockenen Gegenden ist Wasser eine Kostbarkeit, andernorts sind wiederkehrende Überschwemmungen ein Ärgernis und eine Gefahr. Feines Leder, elegante Töpferwaren, Glas von hauchdünner Beschaffenheit, exotische Blumen – all das habe ich mancherorts in so großer Menge gesehen, daß die Menschen dort es nicht mehr wertzuschätzen wußten.
Vielleicht verhält es sich mit der Magie nicht anders – in großer Menge vorhanden, wird sie gewöhnlich. Statt Ehrfurcht und Staunen auszulösen, wird sie für profane Dinge wie Straßen oder Wegweiser mißbraucht und mit einer Achtlosigkeit verschwendet, die auf all jene bestürzend wirkt, die nicht darüber gebieten.
Auch an diesem Tag verlief unser Weg quer zur Flanke eines bewaldeten Berges. Anfangs war es ein nur sanft ansteigender Hang, und ich konnte mir etwas unterhalb der Straße, doch immer in Sichtweite, einen Weg suchen. Die hohen Nadelbäume hatten den größten Teil des Schnees abgehalten, und ich kam gut voran, trotz des von Wurzeln durchzogenen Bodens und der gelegentlichen Windbrüche, die mich zu Umwegen zwangen. Im Lauf des Nachmittags jedoch wurden die Bäume immer kleiner, und der Hang wurde erheblich steiler. Als es Abend wurde, hatten wir Mühe, einen Platz zu finden, der eben genug war, um die Jurte aufzuschlagen. Wir mußten schließlich ein gutes Stück nach unten steigen, bevor wir eine geeignete Stelle entdeckten. Während das Essen kochte, stand Kettricken etwas abseits, schaute zur Straße hinauf und schien mit sich über irgend etwas zu Rate zu gehen. Als ich zu ihr trat und mich erkundigte, was ihr Sorgen bereitete, studierte sie gerade die Karte im schwindenden Tageslicht.
Kettricken tippte auf die Karte und zeigte dann nach oben. »Hiernach sieht es so aus, daß die Straße in dieser Richtung weiterführt, in schroffes, felsiges Terrain. Bis zum Abend werden wir die Baumgrenze hinter uns gelassen haben, was bedeutet, daß wir Feuerholz mitnehmen müssen, soviel die Jeppas ohne Mühe tragen können.« Sie nagte an der Unterlippe. »Du wirst in dem Gelände nicht mit uns Schritt halten können. Spätestens übermorgen, befürchte ich, läßt es sich nicht vermeiden, daß du mit uns auf der Straße gehst.« Ihre blauen Augen hielten meinen Blick fest.
»Wenn es sein muß, werde ich schon zurechtkommen.« Ich zuckte die Schultern und rang mir ein Lächeln ab, obwohl mir beklommen zumute war. »Was bleibt mir anderes übrig.«
»Was bleibt uns allen anderes übrig?« murmelte sie vor sich hin.
Kaum, daß ich die Kochtöpfe gesäubert und weggeräumt hatte, holte Krähe ihre Utensilien hervor und baute das Spiel vom Abend zuvor wieder auf. Ich schaute auf die ausgelegten Steine und schüttelte den Kopf. »Ich bin noch nicht dahintergekommen.«
»Nun, das ist eine Erleichterung«, sagte sie. »Hättest du diese Nuß geknackt, allein oder auch mit deinem Wolf, wäre ich sprachlos gewesen. Es ist ein kniffliges Problem. Doch wir werden heute abend einige Partien spielen und wenn du die Augen offenhältst und deinen Verstand gebrauchst, erkennst du vielleicht die Lösung des Rätsels.«
Doch als ich mich schlafen legte, war ich nicht klüger als zuvor.
Am nächsten Tag kam es genauso, wie Kettricken vorhergesagt hatte. Gegen Mittag kämpfte ich mich durch dichtes Gestrüpp und kletterte über nackte Felsrippen, dicht gefolgt von Merle. Trotz der Anstrengung steckte die Vagantin voller Fragen, und alle drehten sich um den Narren. Was wußte ich über seine Herkunft, seine Eltern? Wer hatte seine Kleider genäht? War er je ernsthaft krank gewesen? Ich gab ihr ausweichende oder einsilbige Antworten und erwartete, daß sie des Verhörs überdrüssig werden würde, aber sie war beharrlich wie eine Bulldogge. Endlich drehte ich mich aufgebracht zu ihr herum und fragte rundheraus, was sie an ihm so faszinierte.
Ein merkwürdiger Ausdruck trat auf ihr Gesicht, als wappnete sie sich für eine Mutprobe. Sie setzte zum Sprechen an, stockte und konnte dann doch nicht widerstehen. Ihr Blick suchte den
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