Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
meinen und hielt ihn fest, als sie verkündete: »Der Narr ist eine Frau, und sie ist verliebt in dich.«
Im ersten Augenblick kam es mir vor, als hätte sie in einer fremden Sprache geredet. Ich starrte sie an und versuchte zu begreifen, was sie meinte. Hätte sie nicht angefangen zu lachen, hätte ich mich vielleicht um eine Antwort bemüht, doch etwas in ihrem Gelächter war mir so sehr zuwider, daß ich ihr wortlos den Rücken zuwandte und weiterging.
»Du wirst rot!« rief sie mit vor Heiterkeit erstickter Stimme hinter mir her. »Ich sehe es an deinem Nacken! All die Jahre, und du hast es nie gemerkt? Nicht einmal geahnt?«
»Das ist lächerlich. Eine verrückte Idee«, sagte ich, ohne mich umzuschauen.
»Wirklich? Und welchen Teil der Idee meinst du?«
»Alles.«
»Sag mir, daß du mit absoluter Sicherheit weißt, daß ich unrecht habe.«
Ich würdigte sie keiner Antwort, und als ich mir einen Weg durch dichtes Strauchwerk bahnte, machte ich mir nicht die Mühe, die Zweige für sie zurückzuhalten. Ich wußte, daß sie wußte, daß ich wütend war, denn sie lachte. Ich drängte mich zwischen den letzten Sträuchern hindurch und schaute plötzlich auf eine nahezu lotrechte Felswand fast bar jeder Vegetation, verwittertes graues Gestein unter einer fadenscheinigen, weißgrauen Schneedecke.
»Langsam«, warnte ich Merle, die mich eingeholt hatte. Sie schaute an mir vorbei und hielt den Atem an.
Ich spähte zur Straße hinauf, die ins Antlitz des Berges geschnitten war wie eine Stufe in ein Stück Holz. Sie war der einzig sichere Weg, doch um dorthin zu kommen, mußten wir den steilen, geröllübersäten Hang überwinden – blanken Stein, abgesehen von ein paar windzerzausten Bäumen und Sträuchern, die sich angesiedelt hatten, wo eine dünne Erdschicht Leben versprach. Stellenweise wanden sich die Wurzeln der Pflanzen wie erstarrte Schlangen über den Fels, krallten sich in jede Ritze, jeden Spalt. Der Aufstieg würde alles andere als ein Kinderspiel sein.
»Wir müssen da hinauf, zurück zur Straße«, sagte ich zu Merle, und sie nickte stumm.
Leichter gesagt als getan. An manchen Stellen fühlte ich ; Geröll und Grus unter meinen Füßen ins Rutschen kommen, und mehr als einmal mußte ich mich auf allen vieren weiterbewegen. Hinter mir konnte ich Merle schnaufen hören.
»Nur noch ein kleines Stück«, rief ich ihr zu, als plötzlich Nachtauge neben uns den Hang hinaufgeschnellt kam. Er überholte uns mühelos in kurzen, kraftvollen Sätzen. Bei der Straße angelangt, verschwand er über der Kante, kam zurück und schaute zu uns hinunter. Gleich darauf erschien der Narr neben ihm und spähte ebenfalls besorgt in die Tiefe. »Braucht ihr Hilfe?« rief er.
»Nein. Wir schaffen es!« rief ich zurück. Einen Arm um den Stamm einer Krüppelkiefer gewinkelt, machte ich einen Augenblick halt, um Atem zu schöpfen und mir den Schweiß aus den Augen zu wischen. Merle blieb hinter mir stehen. Und plötzlich fühlte ich die Emanationen der Straße. Sie hatte eine Strömung wie ein Fluß, und wie über einem Fluß die Luft in steter Bewegung ist, so auch über der Straße. Dort wehte ein Wind aus Leben, sowohl fernem als auch nahem. Die fremdartige Essenz des Narren war darin enthalten und Krähes unausgesprochene Furcht und Kettrickens traurige Entschlossenheit. Sie waren so individuell und unterscheidbar wie die Bouquets verschiedener Weine.
»FitzChivalric!« Merle verlieh meinem laut gesprochenen Namen zusätzlichen Nachdruck, indem sie mir mit der Faust zwischen die Schulterblätter boxte.
»Was ist?« fragte ich sie geistesabwesend.
»Geh weiter! Wenn ich hier noch länger stehe, bekomme ich Wadenkrämpfe!«
»Oh.« Ich setzte mich in Bewegung und kletterte das letzte Stück bis zur Straße hinauf. Die fließende Gabe brachte mir Merle deutlich zu Bewußtsein. Ich konnte fühlen, wie sie ihre Füße setzte und sich an der knorrigen Bergweide unterhalb der Kante festhielt. Ich blieb einen Augenblick auf der Bankette stehen, bevor ich den Schritt hinunter auf die glatte Oberfläche der Straße tat und in ihren Sog glitt wie ein Kind in einen Fluß.
Der Narr hatte auf uns gewartet. Kettricken ging an der Spitze der Jeppas und schaute besorgt zu uns zurück, ob wir zu ihr aufschlossen. Ich holte tief Atem und hatte das Gefühl, mich in mir zu sammeln. Nachtauge neben mir stieß mit der Nase gegen meine Hand.
Bleib bei mir, drängte er. Ich spürte, wie er sich bemühte, das Band zwischen uns zu
Weitere Kostenlose Bücher